Als 'trendy' Schwerarbeit, die leicht aussieht und den Brückenschlag zwischen alter und neuer Hardcore-Schule bewältigt, hat man sie bezeichnet. Sie gelten als energievolle Crossover-Band mit Kultstatus und nur ,,einem" - wenn auch genialen - Song. Für andere sind sie einfach nur lästig und unerträglich. Der Pressespiegel für Bad Religion liest sich wie die zusammengefaßten Charaktereigenschaften der Kandidaten bei "Herzblatt". Auch ihre jüngste und 6. LP "Generator" ist, wie beinahe alle seine Vorgänger, für die Freunde der verschiedensten musikalischen Lager interessant. Es ist schließlich alles nur "Entertainment" oder?
Greg Graffin ist müde. Dem Sänger und Hauptsongwriter liegen die vorangegangenen 8 Shows noch in den Knochen, die er mit seinen Kollegen innerhalb von10 Tagen in 5 verschiedenen Ländern absolviert hat. Am Nachmittag vor der ostersonntäglichen WDR-Rocknacht, die Bad Religion als Headliner absolvierten, stand zu allem Überfluß auch noch ein lnterviewmarathon auf dem Programm. Während Gitarrist und Songwriter Brett Gurewitz (Mr. Brett) sein verspätetes Mitagessen zu sich nimmt, flegelt sich Greg in einem Lehnstuhl, auch Bassist Jay Bentley gesellt sich später zu unserer illustren Gesprächsrunde.
Der schlaksige Jay ist der Entertainer der Band, er steuert einige bandinterne Zoten bei und versieht Mr. Bretts lakonische Kommentare mit den passenden Bemerkungen, only Entertainment.
Bad Religion stehen für Kontinuität, Unveränderlichkeit oder aber für Zeitlosigkeit. Alle ihre Platten, von der 1983 erschienen LP "lnto The Unknown" einmal abgesehen, sind unschwer als "typisch Bad Religion" zu erkennen, "Generator" macht da keine Ausnahme.
Greg: "Wir haben diese Platte wie immer in den West-Beach-Studios in Hollywood aufgenommen, wie immer brauchten wir dafür 10 Tage. Die Stücke entstanden so, wie die meisten unserer Stücke entstehen. Brett schreibt seine Songs und ich meine. Wir stellen sie der Band vor und arrangieren sie dann gemeinsam."
Das Kuriose an dieser Arbeitsweise ist, daß die Band nicht immer zusammen proben kann, da Greg in New York seiner Hauptbeschäftigung als promovierter Biologie-Lehrer nachgeht, während Mr. Brett, Jay, Greg Hetson (Git.) und der neue Drummer Tom Schayer in Los Angeles leben.
Greg: "Die Strukturen sind ziemlich familiär, darum können wir so arbeiten. Wenn ich den anderen ein Demo schicke, dann weiß ich genau, was sie daraus machen."
Schlagzeuger Peter Finestone ist nicht mehr dabei. Er entschied sich bei seiner zweiten Band (Circle Jerks ) einzusteigen, da diese einen Vertrag bei einer großen Plattenfirma bekommen hat. Dieser Wechsel hat an der Essenz der Gruppe jedoch nichts verändert. Den größten Einschnitt mußten sie 1985 hinnehmen, als Jay die Band auf eigenen Willen verließ, und auch Mr. Brett aufgrund von persönlichen Problemen nicht mehr fähig war weiterzumachen. Ohne ihn war an eine Fortsetzung nicht zu denken, Bad Religion hatten ihre Bestimmung verloren.
Mr. Brett: "lch war damals drogenabhängig, ich mag Drogen, aber die Drogen mögen mich nicht. Nach einer Zeit ausgiebigen Experimentierens, beschloß ich zukünftig die Finger davon zu lassen."
Diese Einsicht führte 1988 zur Renaissance der Band, die sich mit dem Album "Suffer" zurückmeldete. Beeinflußt von Punk und Heavy Metal, peitschten sie ihre unter Hochspannung stehenden Uptempo-Folk-Songs herunter, ohne sich auch nur ansatzweise für eines der beiden Lager entscheiden zu wollen.
Greg: "Es ist schwer zu sagen, ob wir z.B. vom anarchistischen Geist des 77er Punk beeinflußt sind. Anarchie ist ein Konzept, mit dem man sehr viele verschiedene Dinge in Verbindung bringen kann."
Mr. Brett: "Anarchie war ein schockierendes Symbol, mehr nicht. Der Punk-Rock dieser Zeit handelte nur von Nihilismus. Mir gefällt die ldee von Anarchie. Was die politische Ebene betrifft, deute ich Anarchie als die ultimative Form von einem sozialisierten wilden Leben (social libertinism). Das hat wenig mit den Teenager-Vorstellungen von 'No Rules' gemeinsam. Meine Lebenseinstellung kommt dem 'social libertinism' sehr nahe, diesem Gedankengut entspringt auch Bad Religion. Wir haben mit dem Punk von 1977 eigentlich nichts gemeinsam."
Jay: "lch glaube, daß die Leute, die damals immer nach Anarchie gebrüllt haben, als erste gegangen wären, wenn tatsächlich Anarchie geherrscht hätte."
Mr. Brett: "Es gibt auch nur ein konkretes historisches Ereignis, bei dem es um die Etablierung von Anarchie ging, das war im spanischen Bürgerkrieg. Zunächst unterstützen die Russen die spanischen Revolutionäre, wendeten sich aber später von ihnen ab, weil ihnen die praktizierte Anarchie zu weit ging."
Obwohl keiner ihrer Songs auf konkrete politische oder historische Ereignisse eingeht, kann man Bad Religion als politisch im ursprünglichen Sinn interpretieren. Die Art und Weise wie sie mit diesen Sujets hantieren, kommt der Tradition der alten Folk-Songs sehr nahe. Das stilistische Mittel das sie anwenden, liegt einzig in der Aufdeckung verschiedener Sachverhalte aber niemals in Anweisungen zu ihrer Auflösung.
"You'll get no direction from me!"
Greg: "Es geht uns mehr darum die Menschen anzuregen, die ungenutzten 83 Prozent ihres Gehirns einzuschalten." Ein Song wie z.B. "The Answer" kann in der derzeitigen politischen Diskussion in Deutschland als Anti-Nazi Song interpretiert werden. Seine intention liegt, ähnlich wie in Bob Dylans "Subterranean Homesick Blues" (erstmalig 1965, auf der LP "Bringing lt All Back Home" erschienen), in der Verneinung jeglicher totalitärer Strukturen. Dylan nannte das: "Don't follow the leaders, watch the parking meters."
Bei Bad Religion heißt es: "l don't believe you have the answer, I' ve got ideas too."
Greg: "lch schrieb diesen Song als eine Zusammenfassung für alles was diese Band darstellen kann. Wir sind schon immer eine Band gewesen, die das lnfragestellen von Autoritäten unterstützt hat."
Bad Religion ist eine Folk-Band, die lediglich ihre musikalische Interpretation zeitgemäß gestaltet hat.
Mr. Brett: "lch glaube, daß Punk-Rock die Folk-Musik der 90er ist. Wir schreiben Folksongs, man kann jedes Stück alleine mit einer akustischen Gitarre spielen. In den 40er und 50er Jahren gab es hunderte von Folk-Sängern in jeder größeren Stadt. Sie kauften sich eine Gitarre und schrieben Songs über Dinge, die in ihrem Leben von Bedeutung waren. Nicht anders verhält es sich mit den Punk-Bands. Sie besorgen sich Verstärker, Gitarren und ein Schlagzeug und schreiben Songs über Dinge, die in ihrem Leben von Bedeutung sind."
Die Folk-Musik, in deren Tradition auch Bad Religion stehen, hat sich in ihrem Ausdruck, nicht aber in ihrer Essenz verändert. Heute, 1992, gibt es sicherlich tausende von jungen Bands, die Bad-Religion-Songs nachspielen und sich mit ihren Songs identifizieren. Schließlich sind unter den "1000 More Fools", die jeden Tag geboren werden auch einige, die nicht die Schnauze halten, das sind vielleicht die Bad Religion von morgen...
- Thomas Guntermann