Die atheistische Religion
Trotz ihres Erfolges und ihrer Etablierung fernab der radikalen Bewegung sehen viele Bad Religion immer noch als Speerspitze des politischen Punkrock. Dabei lautet das Glaubenssystem, das der promovierte Biologe und Sänger Greg Graffin seit jeher bewirbt, nicht politische Revolution, sondern wissenschaftliche Aufklärung.
Daran ändert auch das neue Album „The Empire Strikes First“ mit seiner Anti-Bush-Ausrichtung wenig, ist doch blinder Glaube der US-Regierung, den Islamisten und zahlreichen US-Bürgern gemein. Die erste Single „Los Angeles Is Burning“ ist laut Graffin denn auch ein indirekter Kommentar zu den wirklichkeitsbildenden Mechanismen in seinem Land. „Amerika befindet sich zur Zeit in einer Identitätskrise. Viele Amerikaner wissen nicht, was sie denken sollen und lassen sich ihre Meinung in Los Angeles bilden, von den Medien, die dort gestaltet werden, von Hollywoodfilmen und dem Fernsehen. Wenn also Los Angeles brennt und die Häuser der Filmstars in Flammen stehen, läuft Amerika Gefahr, seine Identität zu verlieren.“ Allerdings sei es schon so, dass echte Unterstützung für Bush nur „aus den ländlichen Gebieten“ kam, während die von liberalerem Klima geprägten Küsten und Großstädte dieser „korrupten und arroganten Regierung“ die Gefolgschaft mehrheitlich verweigert hätten.
Die Ansicht, dass eine Weltmacht unabhängig vom Mann am Ruder ihre Interessen immer rücksichtslos verfolgen wird, teilt Graffin hingegen nicht. „Ich glaube schon, dass wir eine Regierung haben könnten, die Willens ist, Teil eines globalen Konsens zu sein“, sagt er, fügt aber gleich hinzu, dass John Kerry eher „das geringere von zwei Übeln“ ist. „Er kann aber Erfolg haben, denn er ist eine Mischung aus John F. Kennedy, wegen seiner Initialen, und Talkmaster Jay Leno, also werden die Leute ihn wählen.“ Sagt’s und setzt dieses leicht sarkastische Grinsen auf, in dem seine sanfte Verachtung bezüglich der „menschlichen Spezies“ zum Ausdruck kommt, deren Potenzial er zugleich seit Jahrzehnten besingt. Ein Potenzial, dass er nicht in sozialer Revolte und dem Aufbau einer ‚gerechten’ Gesellschaft, sondern in der aufklärerischen Kraft der Wissenschaft sieht. Die war und ist sein Arbeitsfeld, nicht die (politische) Punkszene, der er einst wegen der Gemeinschaft beitrat, bis sie sich als ein Mechanismus der Ausgrenzung entpuppte, dem er mit Stücken wie „Them And Us“ und „Empty Causes“ sowie dem Gesamtkonzept des für ihn sehr wichtigen Albums „The Gray Race“ eine klare, aber kaum wahrgenommene Absage erteilte.
„The Process Of Belief“ war nach weiteren schwächeren ‚Sony’-Platten als Rückkehr zum Mutterlabel ‚Epitaph’ und mit der Reunion mit Brett Gurewitz als zweitem Songwriter auch eine Auffrischung des ungebrochenen Glaubens an Aufklärung und Wissenschaft. Die neue Platte jedoch schlägt in stellenweise poetisch formulierten Stücken wie „To Another Abyss“ oder „All There Is“ einen pessimistischeren Ton an. „Kurzfristig gesehen bin ich ein Optimist und sehr hoffnungsvoll bezüglich allem, was wir hier und jetzt ändern können. Langfristig aber ist unsere Spezies verloren und wir machen uns was vor, wenn wir das ignorieren. Viele unserer Songs nehmen dieses Endgültige in den Blick.“ So glaubt Greg, der mit der Band alljährlich ein Stipendium für naturwissenschaftliche Feldforschung ausschreibt, etwa an die generelle Unbesiegbarkeit des Hungers aufgrund der Überbevölkerung, die im Insekten-im-Glas-Video zu „Ten In 2010“ einst drastisch verbildlicht wurde. Menschen, die das Hungerproblem dagegen der falschen Verteilung und dem kapitalistischen System anlasten, seien „meist Leute, die von Biologie nicht viel wissen.“ Wobei er als klarer Befürworter der Gentechnik zur Optimierung von Ernten durchaus das Problem der Patentierung von Pflanzen und ganzen Spezies anerkennt, welches die Nahrungsversorgung in die Hände weniger großer Unternehmen legt. Gerade deshalb aber verdiene nicht die Wissenschaft die Prügel: „Die Konzernstrukturen sind das Problem, nicht die genetische Modifikation.“
Auch auf der neuen Platte zeigt sich sein Glaube in die Kraft der Ratio und der Forschung unerschütterlich. Nach vielen Jahren als Dozent liegt nun auch seine Doktorarbeit auf dem Tisch, die im nächsten Jahr als Buch erscheinen wird. Zusätzlich arbeitet er an Artikeln für die Magazine ‚Science’ und ‚Nature’. Thema der Arbeit ist ein Plädoyer für eine atheistische Religion, das Zugeständnis, dass die Wissenschaft auch ein Glaubenssystem ist. „Aber eines, das auf Verifikation und Observation basiert. Elemente, die in jeder traditionellen Religion fehlen. Es ist eine alternative Religion, die nicht an ein Leben nach dem Tod glaubt, welches dir jeden Grund nimmt, dich im Hier und Jetzt um etwas zu sorgen. Die Idee, dass das Leben nur das ist, was wir hier daraus machen, ist das Fundament für eine Ethik, nicht die Abwertung des diesseitigen Lebens.“
So lange man über dieses Urvertrauen in die Wissenschaft diskutieren kann, so klar muss man die Band für das loben, was sie im Rahmen ihres Genres aus dem neuen Album herausgeholt haben. Sehr gutes Songwriting verbindet sich hier mit einer gesteigerten handwerklichen Perfektion, wie sie professioneller und unverkrampfter nicht inszeniert werden kann. Greg bestätigt, dass dies vor allem an der endgültigen Integration von Drummer Brooks Wackerman (Ex-Infectious Grooves und Suicidal Tendencies) liegt, einem grandiosen Rockschlagzeuger, dessen variables, druckvolles und doch leichthändiges Spiel die Band musikalisch veredelt. „Im Unterschied zum vorherigen Album wussten wir dieses Mal schon, dass Brooks unser Drummer sein wird, also schrieben wir Teile, mit denen er das ganze auf einen anderen Level heben kann.“ Ohne Vorgänger Bobby Schayer zu nahe zu treten: Heute haben Bad Religion einen richtigen Musiker hinter der Schießbude. Sie klingen wieder unverbraucht und sind, obwohl sie ihre ureigene Stimmung bewahrt haben, von „Suffer“ so weit entfernt wie ein Chefarzt von seiner Praktikumszeit. „Wer sagt, wir schrieben immer denselben Song, hat Bad Religion nicht wirklich gehört. Die Songs sind durch die Jahre immer elaborierter geworden und wir haben auch jetzt wieder die Formel, auf die wir seit Jahren vertrauen, ausgebaut.“ Man darf wohl sagen: trotz fast frecher Selbstzitate versteht sich niemand besser auf diese Musik, zumal Bad Religion mit ihrer Mischung aus Maximalmelodie, unverwechselbarer Sprache und ganz großer Geste ihre eigene Schublade geschaffen haben.
Spricht man Greg auf sperrige Musik an, die durch das Fordern des Hörers eine positive Wirkung erzielen will, zeigt er sich überzeugt, dass es Teil der biologischen Evolution sei, dass wir mehrheitlich eine einfache Struktur wie Strophe-Refrain-Strophe hören wollen. Inwiefern das stimmt, mögen uns dann die „zukunftsträchtigsten Forschungszweige Neurowissenschaft und Molekularbiologie des Gehirns“ erzählen, deren Grundlagen in Gregs Spezialbereich der Evolutionsbiologie liegen. “Mein Fach wird also weiterhin seine Bedeutung haben“, sagt er lächelnd. Ob seine Band die auch noch hat, mag jeder selbst entscheiden. Evolutionär durchgesetzt hat sie sich auf jeden Fall.
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Bildung im Sinne von GREG GRAFFIN
Greg Graffin bezeichnet seine Denkweise auch als „naturalistischen Humanismus“. Soll heißen: die wissenschaftliche Erforschung von Fakten und systematischen Zusammenhängen zugunsten ökologisch sinnvollen und bewahrenden Handelns ohne Berührungsängste mit neuen Technologien. Er tritt ein für eine Verschmelzung natur- und geisteswissenschaftlicher Disziplinen und die Überwindung von Fächergrenzen. Umstrittener, aber hochinteressanter Vertreter dieser Ansicht ist der Harvard-Biologe Edward O. Wilson, dessen Buch „Die Einheit des Wissens“ an dieser Stelle empfohlen sei. In Deutschland hat Ernst Peter Fischer mit „Die andere Bildung“ die Aufgabe auf sich genommen, das hierzulande aus dem Kanon gestrichene naturwissenschaftliche Grundwissen anschaulich und griffig zu vermitteln.