Wenn eine Band 25 Jahre (halbwegs) schadlos übersteht, dann darf man schon mal aufstehen beim Applaus.
Wenn parallel auch noch eines der Bandmitglieder ob seines 25-jährigen Firmenjubiläums zum Sektempfang pfeift, dann fliegt man sogar ein paar Meilen, um persönlich gratulieren zu können. So geschehen Mitte Juni, als Bad Religion-Gitarrist und Epitaph-Labelboss Brett Gurewitz ins Epitaph-Headquarter nach Los Angeles lud, um uns einige Minuten seiner kostbaren Zeit für eine frühmorgendliche Plauderstunde abzutreten. Das Ergebnis präsentieren wir euch nun auf den nächsten paar Epitaph vs. Bad Religion-Seiten, die wir mit zahlreichen Anekdoten, viel Blingbling und einem zurechtgeklauten Stammbaum geschmückt haben, für dessen Vollständigkeit wir keine Garantie übernehmen. Viel Spaß.
Brett, als du Epitaph vor 25 Jahren als Punk-Label gegründet hast, stecktest du voller Ideale. Welche davon sind heute noch gültig und welche Prinzipien musstest du im Laufe der Jahre über Bord werfen?
Meine sehr idealistische aber auch naive Sicht der Dinge war diese: Ich veröffentliche so lange die Alben befreundeter Bands, wie es mir Spaß macht. Heute weiß ich, dass das manchmal nicht möglich ist. Vor allem dann nicht, wenn sich die Platten nicht verkaufen. Ich habe gelernt, dass Labelarbeit nicht nur ein schönes Hobby, sondern eben auch ein Geschäft ist, und ich erfolglose Bands ziehen lassen muss - so weh das auch tut. Natürlich sind mir meine Künstler noch genauso wichtig wie früher, aber ich habe auch eine Verantwortung meinen Angestellten gegenüber. Wenn ich zu viele erfolglose Alben rausbringe, kann ich den Laden dicht machen.
Was waren die Höhepunkte in 25 Jahren Epitaph?
Das erste Highlight war neben der Veröffentlichung der ersten Bad Religion-Single (1981) definitiv das Jahr 1987, als "Suffer" rauskam. Die Stimmung damals war extrem euphorisierend, denn plötzlich war Punkrock wieder angesagt. Auch weil ein paar Meilen weiter nördlich eine Band namens Operation Ivy ihr "Energy"-Album über 'Lookout' veröffentlichte. So wurde die ganze Westküste zwischen L.A. und der Bay Area neu mit Punkrock infiziert - das war großartig. Das nächste große Ding für Epitaph kam dann mit "Smash" von The Offspring. Ab dem Zeitpunkt wurde es hektisch.
"Smash" ist das meistverkaufte Indie-Album aller Zeiten. Welche Konsequenzen hatte der Erfolg der Band für deine Firma?
Aus finanzieller Sicht natürlich weitreichende. Wir waren nun komplett unabhängig und standen in der Wahrnehmung plötzlich ganz anders da - man respektierte uns einfach. Für mich persönlich war das aber eine harte Zeit, denn zunächst überwarf ich mich mit The Offspring, sie wechselten zur 'Sony', dann trennte ich mich von Bad Religion und tauchte wieder ab in den Drogensumpf. Eine sehr chaotische Phase.
Wie lange warst du außer Gefecht?
Eine ganze Weile. Es dauerte bis 1998, bis ich mich wieder halbwegs stabilisiert und neue Motivation getankt hatte. Grund dafür war nicht zuletzt der Vertrag, den ich mit Tom Waits schließen konnte. Das gab Epitaph eine komplett neue Perspektive und hob die Firma auf das nächst höhere Level, denn Waits hat höchstens in spiritueller Hinsicht etwas mit Punkrock zu tun.
Für Künstler Waits hast du extra ein neues Label gegründet, 'Anti Records'.
Richtig, ich wollte "andere" Musik einfach räumlich von Epitaph trennen. Später kamen noch Künstler wie Tricky oder Solomon Burke hinzu. Außerdem war 'Anti' eine gute Möglichkeit für mich, der Welt mitzuteilen, dass ich auch für andere Genres zugänglich bin. Ich spiele vielleicht in einer Skate-Punk-Band, aber das bedeutet nicht, dass ich die gleiche Philosophie verfolge wie 'Fat Wreck Chords'. I'm not a hater.
Offensichtlich. Derzeit kommt der Großteil der Epitaph-Veröffentlichungen von Emo-, Screamo- oder Pop-Kapellen. Keine gute Zeit für Punkrock, oder?
Stimmt. Unsere derzeit erfolgreichsten Epitaph-Bands kommen aus dem Emo-Bereich. Wir sind zuversichtlich, dass das neue Motion City Soundtrack-Album Gold holen wird.
Folgendes Szenario: Eine verdiente Punk-Band wie beispielsweise die Bouncing Souls kommt zu dir und sagt: "Brett, du weißt wir verkaufen keine Platten, würden aber trotzdem gerne ein neues Album aufnehmen, damit wir wieder auf Tour gehen und Geld verdienen können." Wie reagierst du?
Ich gebe ihnen grünes Licht. Denn im Grunde ist es doch so: Wenn ich die Band und ihre Musik liebe, dann ist es mir egal, wenn ich damit ein paar Dollar verliere - solange meine Verluste im Rahmen bleiben. Schwierig wird es, wenn sich eine Band komplett überschätzt und Kosten verursacht wie sonst nur U2, diese aber nicht mal ansatzweise wieder einspielt. Und glaub' mir: Solch größenwahnsinnige Bands gibt es, und mit einigen von ihnen habe ich schon sehr ernsthafte Gespräche führen müssen. Wenn eine Combo aber sagt: "Wir wollen ein neues Album für unsere Fans aufnehmen, nicht mehr, nicht weniger", dann dürfen sie das gerne tun. Die Bouncing Souls sind davon übrigens nicht betroffen.
Wie sieht es denn mit Bad Religion aus? Nehmt ihr ein neues Album auf, weil ihr denkt, noch etwas mitteilen zu müssen oder ist es nur ein willkommener Anlass, um wieder auf Tour gehen zu können?
Wenn's nach mir geht, dann würde ich am liebsten überhaupt nicht auf Tour gehen. Deshalb klinke ich mich da auch weitestgehend aus und spiele nur hier und da ein paar Shows mit. Aber auch bei Bad Religion gibt es ein paar Mitglieder, die finanziell auf das Touren angewiesen sind. Also schreiben Greg (Graffin, Bad Religion-Sänger) und ich neue Songs und nehmen neue Platten auf, weil wir Verantwortung für das Wohl der Bandfraktion haben, die nicht so unabhängig ist wie wir. Mir gefällt das aber. Es ist gut, immer so einen latenten Druck zu verspüren. Das hilft beim Songwriting.
Kein Zweifel. Auf der neuen Platte "New Maps Of Hell" habt ihr 16 Songs geparkt, zeitweise war sogar von einem Doppelalbum die Rede. Das klingt nicht nach latentem Druck, sondern nach kreativer Hochphase.
Ehrlich gesagt war bei mir genau das Gegenteil der Fall. Ich hatte massive Ladehemmungen. Ein Grund dafür war sicher meine Enttäuschung über den erneuten Wahlsieg von George W. Bush und das damit verbundene Scheitern unserer Agenda, die wir mit dem vorigen Album "The Empire Strikes First" verfolgt haben - nämlich den Typen aus seinem Amt zu kicken. Leider mussten wir feststellen, dass Amerika zu träge, zu satt und zu nationalistisch ist, um wirklich etwas ändern zu wollen. Uns hat einfach niemand zugehört, und das tat weh.
Dein Songwriter-Kollege Graffin hat in den letzten zwei Jahren dagegen richtig aufgedreht. Erst verfasste er Musik und Texte für sein letztjähriges Soloalbum und außerdem ist er offensichtlich für einen Großteil der neuen BR-Songs verantwortlich.
Schon, obwohl ich gen Ende der Proben für das Album noch das ein oder andere Lied aus dem Ärmel schütteln konnte, um das Gleichgewicht wieder herzustellen (lacht). Außerdem kristallisiert es sich als großer Vorteil heraus, dass Greg zu diesem Zeitpunkt in Los Angeles an der UCLA unterrichtete und abends direkt über meine Songs singen konnte. So konnte ich mir das sparen, ich finde meine Stimme fürchterlich.
Sind die "New Maps Of Hell" auch eine Referenz an euer erstes Album "How Could Hell Be Any Worse", die "Hölle" quasi als Klammer, als Krux der letzten 25 Jahre?
Das wäre zu hart formuliert, aber für mich gibt es zwischen beiden Alben durchaus spürbare Parallelen, die sich auch im Titel widerspiegeln sollten. Wir wollten diesmal ähnlich spontan, schnell und unorthodox aufnehmen wie in unseren Anfangstagen, aber gleichzeitig auch mit unserem Songwriting neue Wege gehen - deswegen die "new maps".
Wie verstehen sich denn die denn Bandmitglieder nach 25 gemeinsamen Jahren? Geht man da gemeinsam zum Dienst oder ist das so locker und fröhlich wie beim Männerabend?
Ich kenne Greg und Jay (Bentley, Bass) seit der Highschool, als rund 30 Jahre. Das ist eine verdammt lange Zeit. Unser Verhältnis beschreibt man am besten nicht als Freundschaft, sondern als eine kreative Ehe, in der die Romantik seit langem flöten gegangen ist. Brauchen tun wir uns trotzdem.
Also eine Art Hassliebe?
Sagen wir so: Ich hasse die Jungs weit mehr als dass ich sie liebe (lacht).
Was hast du in eurer gemeinsamen Zeit gelernt, das sich lohnt, an junge Bands weitergegeben zu werden?
Zum Beispiel genau das. Dass eine Band mehr ist als nur die Summe der einzelnen Mitglieder; dass man die Mitglieder nicht beliebig auswechseln kann, ohne die Essenz der Band zu zerstören. Über viele Jahre in einer Band zu spielen ist fast wie eine fast religiöse Erfahrung, weil man die eigenen Belange radikal hinten anstellen muss. Wir haben sogar einen Song auf der aktuellen Platte darüber: "52 Seconds", eine Metapher dafür, dass der Einzelne nur ein winziges Molekül im großen Ganzen ist - egal, ob in einer Band oder als Teil der Gesellschaft.
Ist so ein Kollektivdenken nicht manchmal kontraproduktiv im Job? Ich meine, du musst bei Epitaph ja auch zu einem gewissen Grad der Boss sein.
Ich bin ja kein Chef im klassischen Sinne. Weder habe ich mein eigenes Büro, noch meinen eigenen Parkplatz, noch jemanden, der mir Kaffee bringt. Aber laut Aussage meiner Frau kann ich auch gerne mal in einen ordentlichen Befehlston umswitchen - wenn's drauf ankommt.
Bad Religion gelten nicht unbedingt als sehr soziale Band. Ihr lebt sogar auf ungemein geselligen Tourneen wie der 'Warped Tour' sehr zurückgezogen und taucht erst zur Showtime auf dem Gelände auf. Wieso?
Ich glaube, das liegt an Greg. Er ist sehr kulturinteressiert und hat sich schon weit vor einer Tour die jeweiligen Hot Spots der Spielorte zurechtgelegt. Vor Ort mietet er sich dann ein Auto, fährt die Sehenswürdigkeiten ab und erscheint rechtzeitig zum Konzert wieder auf dem Gelände. So ist er eben.
Letzte Frage: Würdest du heute noch mal eine Combo wie Bad Religion unter Vertrag nehmen?
Klar. Wenn eine junge, intelligente Band mit eigenständigen und mitreißenden Songs zu mir kommt und mich begeistert, dann gebe ich denen auch einen Vertrag. Leider kommt in Sachen Punkrock in den letzten Monaten nichts wirklich Gutes mehr um die Ecke, außer den Gallows, die ich gerade gesignt habe. Sie erinnern mich ein bisschen an die frühen Bad Religion: Wenig melodiös, aber unheimlich wütend.