Und siehe, mitten in diesem Sommer der lndividualisierung und Zersplitterung waren plötzlich alle an einem Ort. Schweißgebadet nahmen wir die Segnungen der Bad Religion entgegen. Die Rückkehr der Melodie. No Control. Brennend vor dem Proberaum.
Punk als Melodie, die jeder kann. Tausende strömen plötzlich aus Ecken und Abseiten, um eine Band zu sehen, die in ihrem zehnjährigen Bestehen selten
außerhalb des 500 km-Halbkreises um Los Angeles aufgetreten ist und gerade mal drei LPs und zwei EPs zusammenbekommen hat. Bad Religion sind wie Bad
Brains. Sie mögen eine andere Hautfarbe haben und wenig von Jah Music verstehen, aber auch sie haben den Gospel, der sie daran hindert, zuviele Planen zu machen, zu clevere Schrine und zuviele Unterschiede zwischen musikalischen ldeen und sich selbst. Mit ,,Suffer" markierten Bad Religion die Rückkehr einer Musik, über die noch immer viel geredet wird, die aber keiner in den letzten Jahren mit dem originalen Geist, also dem, der weder retromäßig zurückschaut, noch
unbedingt der härteste des Blocks sein will, spielen konnte. Greg Graffins Art des Gesangs ist weniger Buzzcocksmäßig, ähnelt bestenfalls entfernt der Art, wie Glenn Danzig damals versuchte, den Prügelbeat der Misfits mittels klarer Stimme melodisch aufzuwerten. Erversucht nicht, mit seiner Stimme die Verzerrung der Gitarre nachzuahmen, und erfindet eingängige, gutunterscheidbare Gesangslinien und ansprechende Lyrics zu dem ewigen Gitarren-Dresch aus heutigen Garagen.
Bad Religion begannen mit einer EP, gefolgt von der heute klassischen LP,,How Could Hell Be Any Worse?", welche die Band 1982 zu einem der bekanntesten Namen LA's werden ließ. 1983 sah man die Veröffentlichung von ,,lnto The Unknown", einer Platte, in etwa so punkig wie die'86er Quicksilver- LP, gleichenrveise sinnlos wie musikalisch hochinteressant und verabscheut von sämtlichen Fans. Für Experimente mit Keyboards, Wandergitarren etc. im Stile wirrer Folk-Wave war damals in LA nicht die richtige Zeit. Die wichtigsten Mitglieder, Greg Graffin und Gitarrist Bren Gurewitz trennten sich kurz darauf, um 1987 wiederzusammenzukommen und mit ,,Suffer" die netteste Punk-Platte der leuten fünf Jahre vorzulegen. ,,Suffer" drückte das Faktum aus, daß die Wahrheit im
Sinne von Bad Religion und die moderne Welt der Musiksich einfach nicht vermischen wollen. So war es eine Überraschung, wie viele Menschen ,,Yeah!" zu dieser Einschätzung sagten und den Laden randvoll füllten, den sonst nur Miles Davis vollkriegt. So drängeln die Original-Mitglieder von Bad Religion um das kleine Mikrophon, zum ersten Mal in Europa, zum ersten Mal in diesem Blatt, Greg Graffin, Brett Gurewitz, Drummer Peter Finestone, Baßmann Jay Bentley und Zusatz-Gitarrist Greg Hetson (nebenbei Mitglied der immer noch existierenden Circle Jerks). Das Wort führen hauptsächlich Bren und Greg G., die genausowenig
Lust auf alte Fragen haben wie ich und stattdessen lieber ein paar lnterna andiskutieren.
Greg: Wir haben Musik gemacht, weil es uns Spaß machte. Wir waren alle fünfzehn, Brett mit seinen Siebzehn war der Alteste. Ein Haufen Kinder, die nach der Schule nichts besseres zu tun hatten, als jeden Tag bei mir in der Garage zu proben. Das war von'79 bis '82, danach sind wir eigene Wege gegangen. Einige sind ganz verschwunden, aber ich bin dabei geblieben. Heute sind die Original-Mitglieder wieder beisammen.
SPEX: Warum der Name Bad Religion?
Greg: Eine Möglichkeit von vielen. ln meinem Leben hat Religion nie so eine große Rolle gespielt...
Brett: ... Aber in unserer Umgebung ist Religion ein wichtiger Faktor. Der Name war als Angriff gegen all die Sekten und Fernseh-Vorbeter und das Gerede von Moral Majority gemeint.
SPEX: Bad Religion meint Bad America?
Brett: Aus den Songtexten kannst du das vielleicht herausziehen, aber... was ist es, was eine Religion zur Religion macht' ein Satz Regeln, die ein Dogma ergeben. Etwas ist so, weil es so sein muß. Das ist es, was in meiner Sprache bad bedeutet. Das gilt für jedes Glaubenssystem, egal ob politischer, soziologischer oder spiritueller Natur. Amerika ist etwas anderes. Wir haben Probleme mit Amerika, in einzelnen Mikrokosmen wie dem Schulsystem, religiösem Wahn und so weiter. Aber auch die Bands sind heute dogmatisch und sagen jedem, was er zu tun hat und nichts als das. Auch eine schlechte Religion.
SPEX: Redest du von Straight Edge Bands?
Brett: Das hast du gesagt. Aber vielleicht sind sie die religiösesten von allen.
Greg: Bad Religion ist im Grunde Pro-Amerika, allerdings auf der Basis der historischen ldee von Amerika, also Freiheit. Man kann sogar Pro-Christentum sein, wenn man die ursprünglichen ldeen des Christentums betrachtet. Nur sind die meisten ursprünglichen ldeen heute vergessen.
SPEX: Wie die ursprunglichen ldeen von Punk Rock. Sympathisien ihr mit ldeen wie Anarchie, die damals aus England gekommen sind?
Greg: Sicher, denn ich bin ein ziemlich leidenschaftlicher Mensch. ldeologisch gesehen weiß ich nicht genug darüber, woher diese ldeen kamen. Wenn ieder tut, was et will, gibt es schließlich zwei mögliche Ergebnisse' entweder werden die Menschen weniger aggressiv und akzeptieren, was andere sind, oder sie werden noch wütender und ängstlicher, getötet zu werden. Und ich weiß nicht, welches Denken hinter dieser ldee steckt.
Brett: Wir schreiben keine politischen Texte. Eher breitere, soziologische Themen.
Songtext: "Hey, sit down I listen and they'll tell you when you're wrong, eradicate but vindicate as 'progress' creeps along. Puritan work ethic maintains its subconscious edge as old glory maintains your consciousness. There's a loser in the house and a puppet on a stool and a crowded way of life and a black reflecting pool. And as the people bend the moral fabric dies, then country can't pretend to ignore its people's cries. You are the governnent, you are jurisprudence, you are the volition, you are jurisdiction. And I make a difference too..."
Brett: Das ist Satire.
Greg : Vom amerikanischen Standpunkt gesehen ja. lch als Amerikaner habe lernen müssen, daß es sehr, sehr schwer für einen Einzelnen ist, Gesetze zu ändern. Theoretisch sollte das in unserem Land möglich sein, und so endet die Satire mit den letzten Worten 'And I make a difference too'. Als Teil einer Gruppe macht es Sinn, so etwas zu sagen, denn als Gruppe kann man gewisse Dinge bewirken. Für ein lndividuum macht dieses Statement dagegen keinen Sinn. Wenn ich das live singe, tst der Sinn sowieso ein ganz anderer, denn ich richte den Text an das Publikum. Dann ist das Publikum die Gruppe.
SPEX: ... die neue Regierung...
Greg: Soweit würde ich nicht gehen. Das Weiße Haus wäre darüber nicht glücklich. Es würde unsere Auftritte Überwachen Iassen.
Brett: Ein lndividuum kann durchaus seine Wirkung auf den Staat hinterlassen. Lee Harvey Oswald zum Beispiel. lrgendein McDonalds-Mörder kann nur beweisen, daß man Menschen einfach so töten kann, und damit allein viele verletzen. Aber den Präsidenten der Vereinigten Staaten zu töten, ist etwas ganz anderes. Eher wie Schach.
Greg: Geändert hat es auch nichts.
Brett: Die Räder laufen weiter. Jemand anderes nimmt den Platzt ein. Selbst wenn du also als Gruppe etwas bewegen kannst, so heißt das nicht, daß es ewig hält.
Jay: Ich weiß nicht, was ein lndividuum bewirken kann, aber ich weiß, daß man selbst besser und intelligenter werden kann, und damit wird das gesamte Universum besser und intelligenter.
Brett: Wenn man die größeren gesellschaftlichen Veränderungen betrachtet, so scheint es, als hätten sich die Gedanken der einzelnen Menschen verändert und weniger die Verhaltensmaßregeln, die man ihnen gibt. Glücklicherweise haben wir die Möglichkeit, unsere ldeen in Songs auszudrücken, so daß die Leute sie
hören können. Wir haben das Privileg, ein Beispiel setzen zu dürfen. Wir verändern uns selbst, und die Leute sehen, daß es uns gut dabei geht. Das zeigen wir in den Texten.
SPEX: Aber auch ihr habr mit Dogmen zu kämpfen. Die Stiländerung auf der zweilen LP hat doch gezeigt, wie wenig Fans einer bestimmten Musikrichtung Veränderungen zu akzeptieren bereit sind.
Greg: Wir waren damals sehr jung. Die erste LP war sehr erfolgreich, und wir steckten das Geld in Studiozeit. So war es, und damit sind wir gescheitert -- Besonders ich, denn ich trage die Verantwortung für die Platte. Wir waren immer eine Band, die ganz unterschiedliche Arten von Musik mag, und wir haben immer schon mit anderen Musikformen experimentiert -- nur für uns. Wir waren damals entschlossen, musikalisch so weit zu gehen, wie wir konnten, und das ganze unter dem Namen Bad Religion zu veröffentlichen, was wir wohl besser nicht getan hätten.
Brett: Als Siebzehnjähriger habe ich nie geglaubt, daß ich wirklich gute Musik schreibe. Für mich war das Ganze ein Glücksschuß. Wir stellten fest, daß man Musik machen kann, eine Platte aufnehmen und davon Zehntausende verkaufen, egal ob es überhaupt gute Musik ist. lch dachte, in jeder Stadt wird zumindest einer 'lnto The Unknown' kaufen. lch war eben ein Spinner von der Highschool! lch dachte, es hätte überhaupt nichts mit der Musik zu tun. Also sagten wir uns, laßt uns einfach mal was anderes verkaufen.
Greg: Glücklicherweise ist uns dieser Flop schon früh passiert. Wir waren noch jung genug, zurückzuschlagen.
Brett: Am Anfang haben wir nie etwas entschieden.Wir taten einfach,was wir konnten. Dann wurden wir etwas zu sophisticated und wollten Songs schreiben, die wir nicht schreiben konnten, und lnstrumente spielen die wir nicht spielen konnten.Daraus haben wir gelernt,die Musik zu spielen,die uns zur Musik gebracht hat, die nach unserem Gefühl Musik ist.
Greg: Das heißt aber nicht, daß man nicht mehr als das spielen soll. Ich persönlich spiele alles mögliche, bevozugt das, wo ich am schlechtesten bin, nämlich amerikanischen Folk zur akustischen Gitarre. Nur nichr unter dem Namen Bad Beligion.
Brett: Für 'lnto The Unknown' hat man uns an jeder Straßenecke Prügel angeboten. Wir bekamen Haßbriefe. Man hielt uns Ausverkauf vor, obwohl wir nicht eine Platte davon verkaufen. Hätten wir 'Suffer' 1983 rausgebracht, wir wären heute sowas wie die Misfits.
SPEX: Und was seid ihr heute?
Brett:Punk Rock. 'Suffer' ist nicht weit von 'How Could Hell Be Any Worse'. Nur haben sich die Zeiten geändert, und man nennt es heute Melodic Hardcore.
Greg: Fast ein bißchen besser als Power Pop. Für mich ist es Folk Music -- die Elektrische Version dessen, was ich zu Hause auf der Akustischen spiele.
Brett: Wir sind die einzige übriggebliebene Punkband. Abgesehen von NOFX.
Songtext: "Did you ever see the concrete stares of everyday? The lunatic, the hypocrite are all lost in the fray. Can't you see their lives are just like yours? An unturned stone, an undiscovered door leading the gift of hope, renewed eternity for you. The masses of humanity have always had to suffer. The businessman whose master plan controls the world each day is blind to indications of his species slow decay. People blow their minds (they choose to resign). This deformed society is part of the design, it'll never go away (it's in the cards that way). The masses of humanity always have to suffer."
Brett: Das soll nicht heißen, daß man in Schmerzen leben muß oder im Dreck... Schau dir den Suffer-Boy auf dem Cover an. Er steht in Flammen, aber er verbrennt nicht. Die Flammen fressen ihn nicht auf, sie sind nur ein Symbol für die brennenden Fragen, die neuen Werte in ihm. 'Suffer' heißt, daß man leiden muß, weil man allein im Universum ist, weil man niemals wissen wird, ob es einen Grund oder einen Sinn für die chaotischen Zustände gibt. Es isr ein eher
spirituelles Statement.
SPEX: Du meinst, er hat die Wahrheit in sich und fühlt sich in dieser Welt wie ein Fremder?
Brett: Yeah! Der Mensch ist das einzige Tier , das 'Ich' sagen kann. Wenn man also wissen will, ob man am Leben ist und das Leben spüren will, während man es hat, dann bedeuret das auch Leiden. Wenn man genießen will, muß man leiden können - Leiden unter den Konsequenzen deines Bewußtseins... und der Junge auf dem Cover, das sind wir. Die Straße ist genau wie unsere Straße. Man erkennt sogar die Garage, in der wir proben.
Und so schüttelst du deinen Körper tanzend zu dieser Gruppe, die auch irgendein dancehall-pogo-blahblah-bummcräsch hätte sein können, sich aber als Einheit erwies, die aus Liebe mit ihrem Publikum sprechen will und sich dafür nur die besten, weisesten Worte aufgehoben hat. Da ist es richtig, daß alle Songs gleich klingen - spektakuläre Effekte oder gar musikalische Raffinesse sind der Message nur abträglich. Die demnächst erscheinende neue LP heißt ,,No Control".