The new America?
Bad Religion
Epitaph-Flaggschiff, Punk-Intellektuelle, verehrte Legende seit 20 Jahren – Bad Religion muss man niemand mehr vorstellen. Auch im 24. Jahr ihrer Existenz hat die Band noch so viel zu sagen wie eh und je. Sänger und Chefdenker Greg Graffin bat zur Audienz.
„The New America“ hieß das 2000er-Album von Bad Religion, was man seinerzeit als Abrechnung mit den vermeintlichen Werten des Landes oder aber – der 11.09.2001 lag noch in einer unvorstellbaren, finsteren Zukunft – als zaghaft hoffnungsvollen Blick nach vorne werten konnte. Anno 2004 hat sich Greg Graffin wie die Regierung seines Landes auf Kriegszug begeben. „The Empire Strikes First“ heißt das neue, dreizehnte Album der Band, ein unmissverständlicher Titel, der natürlich auf das Vorgehen der „Koalition der Willigen“ unter amerikanischer Ägide im Irak abzielt. „Dieser Krieg hat eine neue Ära US-Außenpolitik eingeläutet. Er war praktisch das unverblümte Geständnis, dass unsere Regierung jetzt einfach tut, was sie will, ohne jegliche Rücksicht auf die UN, internationales Recht oder Meinungen von außen. Der Rest der Welt möge sich fügen oder die Konsequenzen tragen.“
Hoffnungen, die bevorstehenden Präsidentschaftswahlen in den USA könnten daran etwas ändern, macht er zugleich zunichte. „John Kerry hat sogar eine Chance, zu gewinnen, schließlich ist er größer als Bush und sieht besser aus, ein bisschen wie Jay Leno, das könnte helfen. Und er kann einen ganzen, zusammenhängenden Satz formulieren. Aber es ist egal, wer diese Wahl gewinnt, das wird absolut nichts bewegen.“ Gemäß dem Leitsatz, dass Wahlen illegal wären, wenn sie etwas verändern könnten? „So in etwa. Was dieses Land, diese Welt, braucht, ist ein fundamentaler Wandel. Die USA sind nicht die Anführer der freien Welt, sondern die Konsumenten der ganzen. Und solange unsere Gesellschaft darauf aufgebaut ist, viel Öl zu benötigen und Energie mit Klimaanlagen, großen Geländewagen und ihrer Wegwerfmentalität zu verschwenden, wird sich leider auch an unserer Außenpolitik nichts ändern.“
Wo also ansetzen, um diese vom Konsumwahn betäubte Gesellschaft wachzurütteln? „Ich weiß es auch nicht. Nachdem fast alle Radiostationen und Fernsehkanäle in den Händen weniger Konglomerate sind, werden wir sicher kaum noch Medienpräsenz haben. Bush-Wähler würden uns am liebsten lebendig verbrennen. Dabei sind das ironischerweise größtenteils einfache Leute in der Provinz, die noch nicht begriffen haben, dass sie der Regierung völlig egal, sogar ihre Hauptopfer sind.“ Aber ist die Jugend heutzutage nicht polarisierter denn je? „Die Jugend leidet vor allem an einer Identitätskrise. Realität ist ein Produkt, und politische Identifikation ist ebenfalls eine Art Mode, ein Katalysator, um sich zugehörig zu fühlen. Größtenteils zieht sich die Jugend aber ihre Werte aus dem Fernsehen. Sie sieht ‚Friends’ und ‚Sex And The City’ und glaubt, das sei erstrebenswert.“ Moment mal, schließlich sind diese Serien auch in Europa erfolgreich. „Aber in Amerika glaubt man an diese Serien. Ihr seht sie als das, was sie sind: reine Unterhaltung. Junge Menschen in Amerika sehen sie als Leitfaden.“
Dass es aber anders geht, beweist doch schließlich die Existenz selbständig denkender Amerikaner wie ihm selbst. „Ja, aber ich hatte eben das Glück, aus einem gebildeten Literaten-Elternhaus zu stammen. Meine Eltern haben mich immer dazu animiert, zu lesen, mich zu bilden. Deswegen lesen meine Freunde USA Today und ich die Times. Wenn dir das nicht zu Hause in die Wiege gelegt wird, entwickelt sich das auch nicht mehr, denn das US-Schulsystem fördert Hinterfragen und politische Mündigkeit nicht.“ Ist also alles verloren und dem Untergang geweiht? „Nein. Wenn ich das glaubte, hätte alles keinen Sinn mehr. Es gibt Chancen, wir müssen sie nur nutzen“.
Nach einer halben Stunde angeregter politischer Diskussion deutet die PR-Begleitung an, das nächste Interview stünde vor der Tür. Verdammt, jetzt haben wir gar nicht über die Musik auf „The Empire Strikes First“ geredet. Greg winkt mit einem vielsagenden Lächeln ab. „Macht nichts, unsere Musik kennt man doch mittlerweile, da gibt es nichts Weltbewegendes zu berichten…“ Wir sind aber heilfroh, dass es sie gibt, und danken für das Gespräch.
The Empire Strikes First erscheint am 07.06.