Bad Religion
20 Jahre in der gleichen Band zu spielen, ist fast schon unvorstellbar. 20 Jahre lang in einem stilistisch sehr eng gesteckten Rahmen zu arbeiten, scheint zudem schier unmöglich. Doch BAD RELIGION haben es geschafft und sind wieder präsent. Genauer gesagt, so präsent wie lange schon nicht mehr.
Es gibt tatsächlich nur wenige Bands, denen, der Geniestreich gelingt, ihre Musik vom ersten Moment an so zu gestalten, dass sie über zwei Dekaden hinweg stets zeitlos und echt wirkt. Bad Religion gibt es jetzt seit 1981, und sie haben eine ganze Generation mit ihrem Punksound geprägt. Sicher zählen sie neben Acts wie The All, The Hard On's oder auch NOFX, die die "suffer-No Control-Against The Grain"-Zeiten von Bad Religion sicherlich in würdiger Weise weiterführen konnten, zu den Urgesteinen einer Musikszene, die ebenso viele Bands wie Stilbeschreibungen hervorgebracht hat. ln den einstigen Hardcoresound integrierte man nun kein Mark und Bein zerreißendes Geschrei mehr, sondern Leadgesang, Chöre und Gitarrenlinien. Melodisch wie nie zuvor bescherte man der Punkbewegung Soloparts und verständlich gesungene Texte. Bad Religion waren früher Vertreter des sogenannten Melody Core, der über die Jahrhunderte hinweg der Presse und der Musikindustrie zum Opfer fiel. Man verformte ihn, drehte ihn durch den Wolf, beschönigte vergaß, legte ad Acta und erzeugte schließlich einen Mutanten mit Namen: Emocore. Einigt man sich allgemein darauf, dass zum Beispiel Dischord-Bands getrost zu den, damals so bezeichneten, Emo-Bands zu zahlen waren und wirft man diesbezüglich einen argwöhnschen Blick in Richtung Epitaph-Europe, eine der größten Emofabriken überhaupt, so muss man doch sagen, dass beide Labels für vollkommen unterschiedliche Stilistiken stehen. Also nochmals: Was ist also Ernocore? Niemand weiß es. Es ist wie mit dem Absets. Es gibt lediglich vage Vermutungen. wie sie einst Hennes Weisweiler aufstellte, der da sagte: "Abseits iss, wenn dat lange Arschloch so
spät abspielt!" (gemeint war Günter Netzer). Ungeachtet evolutionärer Fehlgriffe des Musikbusiness, entschied sich Brett Gurewitz nach langen Jahren der Abstinenz von Bad Religion, Bühnen und verschwizten Fans dazu, diesmal nicht nur die neue Platte zu produzieren, sondern auch gleich wieder als Gitarrist und Songwriter in Erscheinung zu treten. Gurewitz verließ 1986 die Band und stürzte sich in die Arbeit an seinem Westbeach-Aufnahmestudio in Holly-wood. Greg Hetson von den Speed Punkern Circle Jerks stieg ein. lmmer wenn Hetson nicht spielen konnte, half Gurewitz aus. Doch der Band fehlte kein Gitarrist, sondern ein Songwriter, was "The Process Of Belief' deutlicher nicht hätte unter Beweis stellen können. War die Band 1990 mit "Against The Grain" auf ihrem Zenit angelangt? Mit "Recipe For Hate" bis "No Substance"wurde zwar jedes Jahr brav ein neues Album veröffentlicht, doch hätte man sich, ehrlich gesagt, einige davon sparen können, insbesondere "Bad Religion 80-85", worüber Greg Graffin einmal anmerkte: "Just another compilation." Somit hatte man über die Jahre einen Punkt erreicht, der die rneisten alten Fans leider nur noch sagen ließ: "Just another Bad Religion-album".
Man machte gemeinsame Sache mit den Toten Hosen (hätte denn keiner mal zur Aufklärung beitragen können, mit wem man sich da einlässt? Anm. d. Verf.) und geriet mit der Zeit völlig in Vergessenheit.
Und dann, als hätten sie es besser nicht inszenieren können: "The Process Of Belief'. 1998 sagte Brett einmal: "Es ist langweilig, immer die gleiche alte Scheiße zu spielen." Dazu kann man nur sagen: Die gleiche alte Scheiße is aber verdammt noch eins das Beste, was diese Band je gemacht hat. Und so klingt "The Process Of Belief" auch. Die alten Männer, deren Musikerkarriere 1981 in LA, San Fernando Valley, mit der 7" "Bad Religion" begann, haben sich endlich wieder zusammenprauft und eine Scheibe eingespielt, die glatt aus der "Against The Grain"-Zeit stammen könnte. Diesbezüglich befragte das Noisy Neighbours Brett Gurewitz, das musikalische Mastermind von Bad Religion.
Zunächst einmal muss ich Euch zu der Platte beglückwünschen. lch mochte das Album vom ersten Moment an, und hatte sofort diesen oldschooligen Sound von Bad Religion wieder im Ohr. Aber dennoch mit einer Menge cooler und guter neuer ldeen. "The Defence" könnte wirklich ein Song auf dem "Against The Grain"-Album sein.
>>> Vielen Dank. lch denke, Du hast recht. Nenne ihn "Digital Boy 2001"
Zunächst einmal ein paär Sachen zu dem Album selbst. Der erste Song auf "Processs Of Belief", "Supersonic", ist doch nicht nur der erste Song des Albums. lst er nicht vielmehr ein Statement für die Band, die hiermit schon etwas von Anfang an klarstellen wollte?
>>> lch mag Deine Umschreibung sehr. Genau das drückt der Sound auch aus. Eigentlich ist der gesamte Song ein Statement. Textlich dreht es sich um den kulturellen Wandel, dem wir ausgesetzt sind. Alles verändert sich so schnell. Ständig brauchst du einen schnelleren Computer, um mithalten zu können. Willst du ihn angemessen einsetzten, oder willst du etwas Neues machen, musst du gleich einen schnelleren Prozessor kaufen. Wir haben durch diese Technik nicht etwa mehr Zeit, sondern weniger.
Fand der 11. September eigentlich auch seinen Niederschlag in diesem Album? Oder war das Album zu diesem Zeitpunkt bereits fertiggestellt?
>>> DasAlbum warzu diesem Zeitpunkt noch nicht ganz fertig. Wir waren noch in den letzten Zügen. Auf dem Album gibt es zwei Songs, "Defence" und "Sorrow", die durchaus Bezug darauf nehmen, aber schon vor dem Anschlag geschrieben waren.
Kannst du einen speziellen Grund dafür nennen, warum du in die Band zurückkehrt bist?
>>> Es gab keinen dagegen. lch habe es eigentlich nicht aus bestimmten Beweggründen gemacht. lch woltte wieder arbeiten und *ngs schreiben. Das Schöne daran war, dass die alte Magie zwischen den Bandmitgliedern sofort wieder aufflammte. Wir verstehen uns einfach sehr gut.
Kann "The Process Of Belief" als Neustart der Band gewertet werden? Du warst jetzt so lange nicht dabei. Hat sich Bad Religion neu erfunden, und ist dieses Album praktisch wieder das erste?
>>> Nein, das kann man nicht sagen. Es ist vielmehr wie damals bei der "Suffer". Damals ist irgendwas mit uns passiert. Wir fühlten uns wie nie zuvor. Alles hat plötzlich gestimmt und hat uns einfach mitgerissen. Das war diesmal auch wieder so.
lst es das beste Bad Religion-Album?
>>> Es ist definitiv eines der drei besten. Welches genau das beste für mich ist, kann ich nicht sagen. Vielleicht "Suffer".
Welches ist denn das schlechteste?
>>> Oh, keine Ahnung... Mmh, "lnto The Unknown".
Verspürt ihr eigentlich einen gewissen Erwartungsdruck an das, was diese Band weiterhin qualitativ auf's Parkett bringt? Müsst ihr nicht stets bessere und interesssantere Alben veröffentlichen, als die vielen von Bad Religion beeinflussten Punkbands? lhr seit doch der Prototyp für die meisten.
>>> Es gibt schon einen gewissen Druck, ja. Wir haben schließlich diesen Sound erschafffen und müssen dem gerecht werden. Doch unsere Motivation sehen wir eher darin, nicht nur diese Musik zu machen, sondern sie auch weiterzubringen und zu entwickeln.
Bist Du beleidigt, wenn euch jemand als "Punkrock-Opas" bezeichnet?
>>> Ach, das ist mir egal. lch kümmere mich nicht darum.
Hast Du eine spezielle Beziehung zu den Leuten, die mit Deiner Band und der Musik, die Ihr macht, groß geworden sind? Macht es Dich glücklich, wenn Dir jemand erzählt: "Das war der Sound meiner Jugend, und ich habe zum erstenmal gefickt, während "Against The Grain" von Bad Religion aus den Boxen gewummert kam?
>>> Oh ja. Sehr sogar. Während man die Musik entdeckt hat, hat man auch das Leben entdeckt. lch mag so was sehr gerne. Es ist ja kaum zu glauben, wie lange diese Band jetzt existiert. Es sind jetzt 20 Jahre. lch war 17, als ich mit Greg und Jay angefangen habe.
Wie würdest Du Deine Rolle in der Band sehen? Wie wichtig ist es eigentlich für den neuen Sound, quasi die alte Besetzung wieder zusammen zu haben?
>>> Wie ich meine Rolle sehe? Nun, ja. lch bin ein Songwriter. lch bin derjenige, der die Band führen kann. Eigentlich arbeite ich mit Bad Religion ganz im Sinne eines Producers und leite den Sound und den Stil des Albums.
Du hast der Band auch während der Zeit, in der Du nicht zum Line-Up gehörtest, immer als Producer beigestanden, oder?
>>> Ja, genau. lch habe alle Bad Religion produziert, bis auf "Stranger Than Fiction".
Bad Religion musste nun schon einige personelle Tiefschläge hinnehmen. Damals war es Dein Ausstieg, und vor noch gar nicht allzu langer Zeit hatte Bobby Scheyer einen Unfall, verletzte sich dabei den Arm und fiel für immer als Schlagzeuger aus. Hat es lange gedauert, bis die Band mit dem, was Bobby passiert ist, umgehen konnte?
>>> lch weiß nicht recht. lch denke, dass es natürlich viel schwerer für ihn ist. Es war ein Schock, und ihm ging es wirklich nicht gut. Zur Zeit weiß ich gar nicht, wo er steckt und was er macht.
Inzwischen habt lhr ja einen neuen Drummer, Brooks Wakerman, der auch schon "The Process Of Belief" eingespielt hat. Konnte erseine persönlichen Vorstellungen von Bad Religion in den Sound mit einfließen lassen?
>>> Ja, schon. Er hat einen großen Vorteil. Er arbeitet wahnsinnig gut mit allen Bandmitgliedern zusammen, ist einfach im Umgang und immer bereit, etwas Neues auszuprobieren. Ausserdem spielter umwerfend. lch glaube er ist erst 24 Jahre alt und so eine Art Wunderkind am Schlagzeug. Mit neun fing er schon an zu spielen.
Was unterscheidet ihn von Bobby?
>>> Er ist unglaublich schnell. Das ist wohl der augenscheinlichste Unter-schied für den Nichtmusiker. Aber es gibt natürlich noch viele andere.
Wie seid ihr auf ihn gekommen?
>>> lch habe ihn angenrufen. Freunden hatte ich erzählt, dass wir jemanden suchen. Sie kannten ihn. lch habe ihn dann einfach angerufen und gefragt, ob er mal vorbeikommen will. Zwischendurch hatten wir auch kurz den Pennywise-schlagzeuger im Auge. Wir wollten einfach den besten, den wir finden konnten. Brooks ist sehr gut, und es entstand direkt diese magische Verbindung... Außerdem war er schon lange Fan der Band und wollte gerne bei uns spielen. Letztlich haben wir dann keinen mehr außer ihm angetestet.
Auch wenn diese Platte von ihrer Atmosphäre und ihrem Style her den alten Veröffentlichungen sehr ähnlich ist, wird sie dennoch zu dem heute so angesagten Emocore gezählt werden. Kannst Du mir mal verraten, was man damit eigentlich bezeichnen will?
>>> lch weiß es ehrlich gesagt auch nicht. Alles wird in einen Topf geworfen. Man bezeichnet inzwischen sehr viele sehr unterschiedlische Bands mit einem einzigen Begriff. Die Get Up Kids zum Beispiel, werden auch immer als Emocore bezeichnet, klingen aber dennoch volkommen anders als Fugazi.
Demzufolge würdest Du Epitaph schlicht als Punkrock-Label bezeichnen und sonst als nichts anderes?
>>> Genau. Dafür steht Epitaph. Für Punkrock.
Früher hat man es doch noch als Melodycore oder Melodic Punk bezeichnet oder?
>>> Ja. Das ist eine alte Bezeichnung, die aber auch nicht mehr verwendet wird.
Epitaph ist ja eines derjenigen Label, das für diese Art Punkrock fast schon das wichtigste Forum darstellt. Dennoch drängt sich die Frage auf, warum speziell auf Epitaph-Europe derartig viele Bands released werden.
>>> lch persönlich signe gar nicht so viele Bands. Höchstens drei im Jahr. Dennoch finde ich es wichtig, neuen Band immer wieder die Chance zu geben, eine Platte zu veröffentlichen. lch will keine Lawine auslösen, aber dennoch ist es wichtig, sich darum zu kümmern, und dass es diese Möglichkeit gibt. Epitaph ist kein Major-Label. Wir knebeln niemanden an Verträge. Bei uns gibt es grundsätzlich nur kurze Verträge, höchstens
über drei Veröffentlichungen. Wir wollen die Freiheit der Bands gewährleisten. Sie sollen die Möglichkeit haben, sich anders zu orientieren, wenn sie das wollen.
lch habe gehört, dass Zeke damals bei Epitaph gefeuert wurden.
>>>Sie wurden nicht gefeuert. Auch sie hattten einen kurzen Vertrag über zwei Platten unterschrieben. Fakt ist, dass der Vertrag einfach nicht verlängert wurde. Es kam kein neuer Deal zustande. Das ist ja genau das, was du eben angesprochen hast.
Zeke hatten die Chance, weiter Platten zu machen und dort zu veröffentlichen, wo es ihnen beliebt. lch liebe diese Band und hoffe, sie werden noch viele Scheiben rausbringen.
An diesem Punkt endete das lnterview, und ich war glücklich, mit einem Jugendhelden gesprochen zu haben. Die Kehrseite der Medaille, und was Donny Paycheck, Schlagzeuger von Zeke, zu dem Epitaph-Deal zu sagen hatte, kann in diesem Heft im Zeke lnterview nachgelesen werden.
Kolja Matzke