Staatsfeinde zum Thema: Pornos im Internet
Bad Religion haben es wieder geschafft. "The New America", Studio-Album Nummer 11 (inkl. "Into the Unknown" - Anm.d.Verf.) der wahrscheinlich weltweit bekanntesten, noch existierenden Punk-Rock Band, ist erneut ein melodisches Meisterwerk aus der kalifornischen Hit-Schmiede um Ex-Uni Professor Greg Graffin geworden. Da der Meister zum Zeitpunkt des Interviews im wohlverdienten Urlaub weilte, stellte sich Brian Baker, ehemals Gitarrist der Hardcore-Legende Dag Nasty und seit 1994 bei Bad Religion, den Fragen.
discover: Mit "The New America" standest Du nun zum dritten Mal mit Bad Religion im Studio. Wie hat sich die Arbeitsweise für Dich persönlich über die Jahre geändert?
Brian Baker: Ich bin damals direkt nach den Aufnahmen zu "Stranger Than Fiction" eingestiegen und habe Mr. Brett ersetzt, der bekanntermaßen für fünfzig Prozent der Songs verantwortlich war. Trotzdem war mein Job hauptsächlich das Gitarre spielen, nicht das Songwriting, da Greg auch genügend eigene geniale Songs für die Band schreibt. Auf "The Gray Race" und "No Substance" habe ich mich dennoch einbringen können und diverse Stücke geschrieben, während ich mich auf dem neuen Album etwas zurück gehalten habe, was hauptsächlich daran liegt, dass unser Produzent Todd Rundgren (Meat Loaf, New York Dolls, etc. - Anm.d.Verf) ein viel besserer Gitarrist ist, als ich, und ich ziemlich beschäftigt war, ihm etwas abzugucken. Dadurch ist "The New America", meiner Meinung nach, viel Gitarrenbetonter geworden, als alle Alben, auf denen ich bis jetzt gespielt habe.
?: Trotzdem wirkt die neue Scheibe etwas weniger aggressiv und dafür melodischer und moderner als die Vorgänger.
!: Das mag schon stimmen, liegt aber mehr am Songwriting als an der Produktion oder an der Spielweise. Wir haben diesmal viel mehr am musikalischen Gerüst gearbeitet und viele neue Dinge in unser Spiel integriert. Wir sind nicht mehr die "same old" drei Akkorde Band, auch wenn die Stücke natürlich noch zu 100% nach Bad Religion klingen.
?: Im Vergleich zum Vorgänger "No Substance" wird auch deutlich, dass das jeder Song für sich betrachtet, auf einem qualitativ höherem Level steht als zuvor. Gerade bei der letzten Scheibe war es schwer von einzelnen guten Songs zu sprechen, obwohl die Scheibe insgesamt nicht schlecht war.
!: Bad Religion veröffentlichen normalerweise etwa jedes Jahr ein neues Album, wodurch die Vorbereitungszeit natürlich sehr kurz ist, was auch bei "No Substance" der Fall war, wo wir in zwei Wochen alle Stücke geschrieben haben. Diesmal hatte Greg anderthalb Jahre, um gute Songs zu schreiben. Seit ich in der Band bin, haben wir uns noch nie so viel Zeit dafür gelassen und so viel Arbeit und Aufmerksamkeit in eine neue Platte gesteckt. Greg hat sehr darauf geachtet, keine neue Platte mit den selben Stücken wie zuvor zu veröffentlichen, sondern innerhalb des Rahmens, den wir natürlich einhalten müssen, etwas neues zu schaffen.
?: Nichts desto trotz ist ja gerade Bad Religion bei Kritikern dafür bekannt, jedes Jahr die selbe Platte zu veröffentlichen, bzw. genau zwei Songs zu haben, den Schnellen und den Langsamen.
!: Das Gerücht habe ich auch schon gehört (lacht). Es stimmt, aber wir haben den sehr sehr guten schnellen Song und den sehr sehr guten langsamen Song, das ist doch auch was, oder? Nein, jetzt mal ehrlich - wir wollen den Bad Religion Sound, den genug Fans lieben, nicht für den Zweck der Veränderung opfern. Wenn wir uns verändern, dann geschieht das langsam und durch Weiterentwicklung. Die Veränderung muß ehrlich sein. Wir haben diese Art der Musik immerhin entscheidend geprägt, wenn nicht sogar mit erfunden, da gehen wir doch nicht hin und schmeißen alles über den Haufen. Ich sehe kein Problem darin, einen erkennbaren Stil zu haben, die Menschen putzen sich auch jeden Tag auf die selbe Art die Zähne.
?: Gibt es denn ein bestimmtes Konzept beim Songwriting? Wißt ihr wie ihr die geforderte Hit-Single schreiben müßt?
!: Bad Religion hat eigentlich noch nie intentional eine Hit-Single geschrieben. Auch "The New America" hat für mich keine wirkliche Single. Wer in solchen Kategorien denkt, ist besser in der Marketing Abteilung aufgehoben. Die Single-Auskopplungen werden noch nicht mal von uns ausgewählt. Natürlich freuen wir uns auch, wenn ein Stück erfolgreich wird - ich habe bestimmt kein Problem mit Erfolg. Trotzdem ist es nicht unser Ziel, ins Radio zu kommen.
?: Immerhin habt ihr es vorher nie für nötig gehalten, einen Produzenten zu integrieren. Ist dies keine Zugeständnis an die große Erwartungshaltung von Seiten der Fans und der Plattenfirma?
!: Nein, entscheidend war, dass Todd sein Studio auf Hawaii hat. Bei mir zu Hause habe ich Temperaturen wie in z.B. Stuttgart, ist doch klar, dass sich Hawaii wie eine Menge Spaß anhört, oder? Der Produzent hat bei uns nie viel zu tun. Die Songs stehen bevor wir ins Studio gehen und sie sollen nur vernünftig auf Band gebracht werden. Wir sind nicht N'SYNC, wo noch die ganze Musik vom Produzenten geschrieben werden muß. Ich frage mich allerdings gerade, wie wir diese schöne Erfahrung in Hawaii noch toppen können. Vielleicht Neuseeland?
?: Wo es gerade um das Songwriting geht - Ihr habt Euch angeblich wieder mit Ex-Gitarrist und Songwriter Mr. Brett versöhnt, der auch zu "The New America" beigetragen hat?
!: Das stimmt. Er hat mehrere Stücke geschrieben, von denen wir im Endeffekt aber nur "Believe It" verwendet haben. Ich habe mich persönlich sehr darüber gefreut, da ich Brett's Songwriting sogar immer besser fand, als das von Greg. Außerdem entstanden die Probleme zwischen den beiden Parteien, bevor ich in der Band war, so dass ich nie ein Problem mit ihm hatte. Die Vergangenheit ist aber jetzt auch erledigt und es gibt kein böses Blut mehr.
?: Hast Du keine Angst wieder abgelöst zu werden?
!: Nein, ich bin einfach ein viel besserer Gitarrist.
?: Um mal auf einen speziellen Song auf "The New America" zu kommen - "I love my computer" scheint ja Bezug auf das aktuelle Problem des Verlustes sozialer Kontakte bzw. der Verdrehung der Wirklichkeit im Internet zu nehmen.
!: Sehr feinfühlig ausgedrückt. Profaner gesprochen geht es um Internet - Pornographie, also die Beziehung zu einer Maschine. Leider habe ich nicht so große Erfahrung auf dem Gebiet aber da Mr. Graffin den Song geschrieben hat, denke ich, dass er sich mit dem Thema intensiv auseinandergesetzt hat.
?: Habt Ihr je Probleme mit Songtexten, dem Namen Bad Religion oder Eurem Bandsymbol, dem durchgestrichenem Kreuz, gehabt?
!: Nicht wirklich, allerdings waren wir auch noch nie in Irland auf Tour. Andererseits sind wir seit unserer Zusammenarbeit mit Noam Chomsky (Split 7" gegen den Golf Krieg - Anm.d.Verf.) auf der FBI - Überwachungsliste.
?: Was wieder den Punk Background von Bad Religion erkennbar macht. Was bedeutet Punk Anno 2000 für Dich?
!: Die Zeiten in denen ich meine Nieten-Lederjacke getragen und mir einen Iro rasiert habe, sind seit ungefähr 17 Jahren vorbei. Für mich ist es trotzdem immer noch eine Einstellung, keine Mode. Ganz simpel gesprochen bedeutet es: Mach Dein eigenes Ding! Punk ist so Mainstream geworden, dass es wie Blues oder Gospel eine untergeordnete musikalische Richtung ist und man die Platten in jedem CD-Club für 20 cents bestellen kann. Der Eindringlichkeit, die Punk vor 20 Jahren hatte ist dahin, trotzdem kann man sich sehr wohl ein persönliches Ziel aus dieser Bewegung ableiten. Für mich heißt es, dass man sein Leben leben sollte, wie man es für richtig hält, ohne sich von anderen beeinflussen zu lassen.
?: Ist die Musikindustrie mitverantwortlich für diesen Trend, den Greg 1998 in einer Rede auf dem CMJ Music-Fest anprangerte?
!: Mit Sicherheit, da die Labels natürlich viel Geld verdienen wollen. Zwar können sie nicht die musikalische Vielfalt töten, da die Menschen zu verschieden sind, um alle die gleiche Musik zu spielen, trotzdem ist es klar zu beobachten, dass die Plattenfirmen ihre Veröffentlichungen angleichen. Bevor eine Band eine eigene Identität erarbeiten kann, wird sie gedroppt.
Fans sei die Bad Religion Homepage empfohlen (www.badreligion.com) auf der sogar kritische Briefe öffentlich beantwortet werden und Gregg Graffin seine Essays, z.B. "A Punk-Rock Manifesto", veröffentlicht.
Thorsten Wilms