Freunde des Hauses // Greg Graffin
"Wer aus seinem geistigen Tiefschlaf aufgeweckt werden will, wird immer eher bei Bad Religion landen als bei Britney Spears"
Interview mit Greg Graffin, Sänger von Bad Religion (im August 2000)
??? Wie läuft die aktuelle Europa-Tour?
Greg Graffin: Es läuft gut, aber ich mag unsere eigenen Konzerte lieber als die Festival-Shows, die wir im Sommer spielen. Bei den Festivals treten so viele Bands auf, dass man vielleicht vierzig Minuten für den Auftritt hat. Ich denke, dass das für unsere Fans wenig Sinn macht. Und von den Städten bekommen wir wieder einmal wenig mit, da wir ständig von einem Ort zum nächsten fahren. Da wir teilweise unsere kleinen Kinder dabei haben, fahren wir viel mit der Bahn. Die europäischen Konzerte unterscheiden sich mittlerweile kaum noch von den amerikanischen, weil unsere Fans sehr loyal sind. Die Leute kommen tatsächlich vom anderen Ende eines Landes, um ein spezielles Konzert zu sehen!
??? Wie war die Situation Anfang der 80er Jahre, in den Gründungstagen von Bad Religion?
Greg Graffin: Früher funktionierte das komplett über die Punk-Szene in Amerika. Die Leute kamen nicht wegen uns, sondern weil wir Teil einer Szene waren. In den heutigen Tagen ist Bad Religion eine Szene für sich selbst. Und unsere Fans auf der ganzen Welt scheinen sehr ähnlich zu sein.
??? Wer waren Eure größten Einflüsse in der damaligen Punk-Szene von Los Angeles?
Greg Graffin: Wir alle schauten auf zu den älteren Bands in L.A. - wie zum Beispiel den Circle Jerks, bei denen unser heutiger Gitarrist Greg Hetson spielte, Black Flag, The Gears, The Germs oder The Go Go´s. Als wir begannen, waren einige dieser Bands allerdings nicht so freundlich zu uns, wie wir uns das erhofft hatten. Die wollten nicht mit uns auf der Bühne stehen! Nur die Circle Jerks haben sich um uns gekümmert und ließen uns als Supportband auftreten. Ich war damals 15 Jahre alt.
??? In der Zeit habt Ihr also noch nicht allzu viel getourt...?
Greg Graffin: Natürlich nicht, wir waren Kinder und spielten in San Francisco, San Diego, Los Angeles, Rhino, Nevada, Las Vegas, Phoenix - überall dort, wo wir mit dem Auto leicht hinkamen. Denn wir hatten kein größeres Mobil und natürlich auch kein Geld, um uns irgendwo eine Übernachtung leisten zu können.
??? Nun existieren Bad Religion bereits seit 20 Jahren und Ihr könnt auf eine beeindruckende Bandgeschichte zurückblicken. Das haben nicht viele Punk-Rock-Formationen geschafft - warum ausgerechnet Ihr?
Greg Graffin: Das hat mehr mit den einzelnen Leuten in der Band zu tun als mit der Musikindustrie. Ich habe die Band immer als eine Form angesehen, um Ideen mit anderen zu teilen. Das funktioniert, so lange ich Ideen habe, denen die Menschen zuhören. Bad Religion ist kein Job für mich, sondern ein Prozess, ein Teil meines Lebens.
??? Bad Religion hat einen speziellen Stil von Punk-Rock kreiert, der hinterher von vielen Bands kopiert wurde...
Greg Graffin: Viele Bands, die sehr bekannt geworden sind, haben Bad Religion als großen Einfluss genannt. Möglicherweise sind wir die stilistischen Urheber für manche dieser Bands, auch wenn sie es teilweise nicht zugeben wollen. Aber unser Stil war natürlich auch nur eine Weiterentwicklung von anderen Bands vor uns. Es ist der übliche Prozess des Lernens von den Leuten, die vor Dir kamen.
??? Wenn Du heute auf der Bühne stehst, fühlst Du Dich dann manchmal wie ein Lehrer, da das Publikum mitunter auch recht jung ist?
Greg Graffin: Ein bisschen wie ein Lehrer - und die Kids sind meine Schüler. Nein, nur meine Bands sind meine Schüler... Ich habe gerade ein Album für eine Band aus New Jersey abgemischt. Die heißen Kid With Manhead, sind eine großartige neue Band - und ich mag es eben auch sehr, Musik zu produzieren und abzumischen. Ich denke, ich kann jüngeren Bands einiges weitergeben. Bands wie Blink 182 wiederum haben sicherlich weniger Themen als wir, sind aber viel bedeutender für das Publikum. Da sie den Punkgedanken aber irgendwie mit uns teilen, könnten sie eventuell einige Leute aufwecken und zum Punk bringen. Deshalb haben wir zuletzt auch mit ihnen in Amerika zusammengespielt. Ich denke, dass einige Bands einfach nicht die Zeit oder das Verlangen haben, sich mit ernsthaften Themen zu beschäftigen. Aber wer aus seinem geistigen Tiefschlaf aufgeweckt werden will, wird immer eher bei Bad Religion landen als bei Britney Spears.
??? Der kommerzielle Erfolg für Bad Religion begann irgendwann nach dem Album "Suffer"?
Greg Graffin: Was kaum jemand weiß, ist, dass wir im ersten Jahr von Suffer nur 7.000 Exemplare verkauft haben. Unsere Aufmerksamkeit galt aber auch nie den Plattenverkäufen. Das ist auch heute nicht anders geworden. Ich mag es, Musik zu machen, nicht, sie zu verkaufen. Es ist mir auch egal, wer sie verkauft... Für unser bestes Album halte ich natürlich "The New America", weil es die aktuellste Reflektion meiner Gedanken ist. Ich war diesmal sehr geduldig und habe sehr viel Zeit in dieses Album gesteckt. Es sagt mir persönlich eine Menge wichtiger Dinge.
??? Anfang der 90er Jahre seid Ihr von Eurem eigenen Label Epitaph zu einem Major gewechselt. Würdest Du im Nachhinein sagen, dass das die richtige Entscheidung war?
Greg Graffin: Sicherlich war das die richtige Entscheidung. Das gab mir die Möglichkeit, mir keine Gedanken mehr über das Marketing machen zu müssen. Ich konnte mich ausschließlich auf das Stückeschreiben konzentrieren. Mein Freund Brett Gurewitz, mit dem ich Bad Religion gründete, betreibt Epitaph weiter und beschäftigt sich nun nur noch mit dem Verkaufen von Musik. Das hat ihn vorher, als er noch in der Band war, immer eine Menge Zeit gekostet, die er nicht für Bad Religion nutzen konnte. Er hat die Band verlassen, um sich um die Zahl der verkauften Platten zu kümmern - und um andere Bands zu produzieren. Ich war nie in das Epitaph-Label involviert - außer dass ich die Identität des Labels mitbegründet habe. Als wir Kinder waren, haben wir zum Beispiel die Platten in meiner Garage noch eigenhändig in die Hüllen gesteckt. Das hat Spaß gemacht und ich war stolz auf die Arbeit, die wir getan haben. Mit der Annäherung zum großen Geschäft hatte ich aber nie etwas zu tun, das war immer Bretts Sache.
??? Euer neues Album wurde von Todd Rundgren produziert - mit welchem Ergebnis?
Greg Graffin: Er hat so etwas wie einen philosophischen Anspruch in die Plattenproduktion eingebracht. Er half mir beim Stückeschreiben. Er hat keine Texte oder Musik beigesteuert, sondern eher wie ein Mentor gewirkt, der mich bestärkte, mir Themen vorzunehmen, über die ich sonst nicht nachgedacht hätte, die sehr persönlich und emotional sind. Und er hat mir auch geholfen, die Bedeutung der Stücke klar herauszuarbeiten - ähnlich wie ein Lektor. Ich denke, dass es relativ einfach ist, eine Platte alleine aufzunehmen, dass es aber nicht sehr einfach ist, eine großartige Platte alleine aufzunehmen. Du brauchst Leute, zu denen Du aufschauen kannst, Leute, die Deine persönlichen Helden sind, für die Du die Platte machst. Das ist der einzige Weg für mich, um Inspiration zu finden. Und Inspiration zu finden ist eine der schwierigsten Sachen, wenn man als Bad Religion eine neue Platte aufnimmt.
??? Es muss in der Tat schwierig sein, nach 20 Jahren immer wieder neue Stücke zu schreiben...
Greg Graffin: Ja, Du musst etwas finden, von dem Du tief bewegt wirst. Und der Produzent ist jemand, der Dich wirklich inspirieren kann.
??? Eure Themen sind nach wie vor Sachen wie "Sei nicht bloß einer in der Masse!", "Denke selbst nach!" und außerdem die ständige Suche nach dem Paradies oder gelobtem Land. Sind das auch für Dich die wichtigsten Punkte in Deinen Texten?
Greg Graffin: Grundsätzlich ja, aber es gibt auch noch eine andere wichtige Aussage darin, die sagt: "Fürchte Dich nicht davor, Dich zu verändern!" Sehr viele Punks haben große Angst vor Veränderung, fürchten die Veränderung. Unser neues Album soll sie inspirieren. Es sagt unter anderem aus, dass das neue Amerika ein Land der Veränderungen sein muss. Und um unser aktuelles Klima ändern zu können, müssen wir zunächst einmal uns selbst ändern. Das ist allerdings eine Botschaft, vor der viele Punks Angst haben.
??? Du hast mal gesagt, dass die Band für Dich ein Mikrokosmos des Lebens ist...
Greg Graffin: Das ist für mich so, weil ich aufschreibe, was in meinem Kopf vorgeht - und meine ganze Sicht der Welt ist aufgeschrieben in den Texten von Bad Religion. Ich habe aber auch ein Leben außerhalb der Band und übertrage das in die Musik. Ich pausiere zur Zeit als Dozent an der Universität, werde aber wohl in den nächsten Jahren meinen Doktor der Philosophie machen. Meine Doktorarbeit wird sich mit Religion und Evolution beschäftigen, möglicherweise gebe ich ihr den Titel "Bad Religion".
??? Hast Du eine persönliche Definition dafür, was Punk bedeutet?
Greg Graffin: Da möchte ich auf unsere Homepage verweisen. In unserem letzten Newsletter habe ich ein Essay darüber geschrieben, das sich "A Punk Manifesto" nennt. Und das war gar nicht so einfach; ich brauchte zehn Seiten, um die Bedeutung von Punk in Worte fassen zu können!
??? Welche Bedeutung haben das Internet und die neuen Medien überhaupt für Bad Religion?
Greg Graffin: Unsere Homepage ist sehr wichtig für uns geworden, um offizielle Informationen zu verbreiten. Unsere Musik hat so viele Informationen in sich - und Leute aus aller Welt wollen dieselben Sachen darüber erfahren. Die Soundqualität der Musik im Internet ist aber immer noch unzureichend. Wenn sich das mal ändert, wird wohl jeder einen CD-Brenner zu Hause haben und sich die Musik herunterladen. Ich mag den Sound von mp3 und anderen aktuellen Formaten nicht. Es ist aber allemal ein großartiger Weg, Musik zu vertreiben. Wir werden unsere neuen Stücke demnächst auch auf unserer Homepage anbieten. Außerdem haben wir eine Studio- und Backstage-Cam installiert. Nur in Europa ist es noch sehr schwierig, Internet-Anschlüsse in den Hallen zu finden; in Amerika ist das schon eine Selbstverständlichkeit.
??? Wann habt Ihr zum ersten Mal eine Hosen-Platte gehört?
Greg Graffin: Musikalisch kannten wir die Toten Hosen seit unserer ersten Europa-Tour, weil wir überall ihre T-Shirts sahen und die Leute im Publikum natürlich fragten, wer diese Band ist. Bei unserer ersten Deutschland-Tour wurde uns dann zum ersten Mal etwas vorgespielt.
??? Wie seid Ihr mit den Toten Hosen in Kontakt gekommen?
Greg Graffin: Jens, unser Tourmanager, ist gut mit Kiki befreundet. So haben wir die Toten Hosen als Freunde getroffen, bevor wir eine Show zusammen gespielt haben - bei Parties oder auch mal in irgendeiner Bar in Düsseldorf. Wir kannten sie also - Andi kam auch ein paar Mal nach Los Angeles - und dann spielten wir schließlich auch einige große Konzerte zusammen. Dabei haben wir uns dann noch besser kennengelernt. Beim Jubiläumskonzert im Rheinstadion und bei der deutschen Ausgabe der Vans Warped-Tour sind wir dann wieder aufeinandergetroffen. Es war ziemlich verrückt, in der Mitte dieser riesigen Felder zu stehen, aber wir hatten nicht viel Zeit irgend etwas anderes außerhalb der Gigs zu machen.
??? Hast Du ein Lieblings-Hosen-Stück?
Greg Graffin: Besonders mag ich die E.P. in Englisch, auf der auch "Soul Therapy" drauf ist. Die ist großartig - sogar meine Kinder lieben die und hören sie sich regelmäßig an.
??? Dachtest Du bereits an Campino als Gastsänger, als Du den Text für das Stück "Raise you voice" geschrieben hast?
Greg Graffin: Nein, ich habe das Stück geschrieben, weil ich dachte, es könnte ein fantastisches Festival-Stück sein. Und ich wollte unbedingt ein Stück für die europäischen Festivals schreiben. Campino war zufällig gerade in New York und da habe ich ihn gefragt, ob er vorbeikommen möchte, um sich dieses Stück anzuhören. Ich sagte ihm, dass es ein großer Spaß sein könnte, es zusammen zu singen. Und wir gingen in ein Studio in New York, wo wir es dann gleich zusammen aufgenommen haben. Als er dann einen Monat später von der Warped Tour aus Hawaii kam, besuchte er uns in L.A., um auch noch den Videoclip gemeinsam aufzunehmen. Das lief wirklich alles perfekt.
"PUNK IS: the personal expression of uniqueness that comes from the experiences of growing up in touch with our human ability to reason and ask questions. PUNK IS: a movement that serves to refute social attitudes that have been perpetuated through willful ignorance of human nature. PUNK IS: a process of questioning and commitment to understanding that results in self-progress, and through repetition, flowers into social evolution. PUNK IS: a belief that this world is what we make of it, truth comes from our understanding of the way things are, not from the blind adherence to prescriptions about the way things should be. PUNK IS: the constant struggle against fear of social repercussions." (aus: "A Punk Manifesto" von Greg Graffin)