Category: | Review - Internet | Publish date: | 1/1/2013 |
Source: | plattentests.de (Germany) | ||
Synopsis: |
True North
Erebus und Terror
Als John Franklin 1845 von England aus mit den beiden Schiffen Erebus und Terror Richtung Norden aufbrach, um die Nordwestpassage zu finden und zu kartographieren, waren solche Expeditionen noch lebensgefährlich. 129 Männer sollten drei Jahre lang auf zwei Schiffen leben und eine der unwirtlichsten Gegenden des Erdballs durchsegeln. Stürme und Skorbut, Alkohol und Moral waren noch die kleinsten Probleme. Bei der dritten Überwinterung mussten die Seeleute ihre Schiffe aufgeben und versuchten, über das Eis den nächstgelegenen Vorposten der Zivilisation zu erreichen. Seitdem sind sie verschollen - übrig blieben lediglich einige mysteriöse Gegenstände, ein paar Knochen und Augenzeugenberichte der Inuit.
Bad Religion hätte es vor 30 Jahren ganz ähnlich gehen können. "Into the unknown" hieß ihre Expedition damals. Nach ihrem Punkrock-Debütalbum "How could hell be any worse?" machten die Kalifornier eine vollkommene Kehrtwendung in Richtung Spacerock, Synthies und Prog-Experiment. Im kalten, unbekannten Weltraum hatte sich die Band schnell verrannt und dabei auch noch in die Haare gekriegt. Dass wir heute nicht nur ein paar Knochen, eine Handvoll kurioser Songs und Augenzeugenberichte von alten Eingeborenen aus Los Angeles vorliegen haben, sondern das bereits 16. Album der Punkrock-Legende, liegt daran, dass Greg Graffin und Kollegen doch noch nach Hause gefunden haben.
Seitdem ist es zum geflügelten Wort geworden, dass Bad Religion immer wieder dasselbe Lied schreiben und spielen. Mit über 30 Jahren Erfahrung und knapp 200 Songs in der Hinterhand könnte man also doch mal wieder eine Expedition wagen, oder? Die Antwort darauf ist ein simples Nein, und die Enttäuschung darüber sollte sich in Grenzen halten. "True North" ist einfach eine gute, schnelle Punkrock-Platte. Die Songs bleiben mit einer Ausnahme unter drei Minuten, sind schnörkellos, melodiös und im besten Sinne routiniert. Alle paar Jahre braucht es mal ein Album wie dieses, um sich daran zu erinnern, dass Trends und Komplexität nicht alles sind.
Die ersten sechs Songs gehen runter wie Öl und wecken Erinnerungen an "Recipe for hate" und "Against the grain". Das Titelstück und "Fuck you" funktionieren genauso gut, wie sie es vor 20 Jahren getan hätten. Vor allem die ganz kurzen Stücke deuten zudem darauf hin, dass Bad Religion die Hemingways des Punkrock sind. "Vanity" und "The island" streichen jede überflüssige Note und jedes unnötige Wort, "Dept. of false hope" hat einen der typischen Singalong-Refrains, die die Band immer mal wieder zur Auflockerung einstreut. Der einzige Ausfall ist das irritierend langsame "Hello cruel world", das wie ein Fremdkörper wirkt, gleichzeitig aber auch einen scharfen Kontrast zu den Qualitäten der restlichen Songs bildet. Überraschungen und Expeditionen ins Ungewisse kann und wird niemand mehr von Bad Religion erwarten, aber in Dunkelheit und Schrecken wird die Band nicht untergehen - solange sie ihren Song nicht vergisst.
6 / 10
- Maik Maerten