Category: | Interview - Other | Publish date: | 1/1/2013 |
Source: | teleschau - der mediendienst (Germany) | With: | - |
Synopsis: | Greg Graffin talks about human egoism, social parallel societies, passion and his upcoming book, "Population Wars". |
"Es muss sich etwas ändern"
Bad Religion veröffentlichen ihr neues Album "True North"
Sänger, Buchautor, Universitätsdozent: Greg Graffin gibt sich nicht nur mit einem Aufgabengebiet zufrieden. Mit seiner Band Bad Religion veröffentlichte der promovierte Biologe gerade erst das neue Album "True North", schon hat er Pläne für ein weiteres Buch im Hinterkopf. Der 49-Jährige lehrt an der kalifornischen Cornell-Universität Evolution und untersucht den direkten Zusammenhang zwischen dem biologischen Erbgut des Menschen und dem Aufbau der Zivilisation. Ein Gespräch über menschlichen Egoismus, soziale Parallelgesellschaften und den Motor, der Graffin antreibt: Leidenschaft.
teleschau: Mr. Graffin, als Dozent an einer Universität erteilen Sie sicher viele gute Ratschläge an Ihre Studenten. Was ist besser: einem gut gemeinten Rat folgen oder seine eigenen Erfahrungen machen?
Greg Graffin: Das muss ausgeglichen sein. Das größte Problem ist zu selektieren, wer überhaupt befähigt ist, gute Ratschläge zu erteilen (lacht). Viele sind nur auf ihren eigenen Vorteil bedacht und erteilen auch dementsprechend vermeintlich gut gemeinte Ratschläge. Am besten ist es, von denen zu lernen, denen man anmerkt, dass sie sich erst um ihre Mitmenschen und dann um sich selbst kümmern.
teleschau: Was war der letzte an Sie gerichtete gute Ratschlag?
Graffin: 2011 fing ich an, ein Haus zu bauen, und holte mir dafür viele Meinungen über mögliches Baumaterial und Installationen ein. Ich versuchte, die eigenen vier Wände so ökologisch effizient wie möglich zu gestalten. Wir ließen sogar einen Wasserboiler aus Deutschland einbauen (lacht). Das ist wirklich ein gutes Beispiel: Ich werde höchstwahrscheinlich den Rest meines Lebens in diesem Haus leben und hoffe dementsprechend auch alles richtig gemacht zu haben. Ich engagierte demnach auch nicht den erfolgreichsten Bauunternehmer, sondern denjenigen, der mir genau das einbaute, was ich benötigte. Und jetzt ist das Haus perfekt.
teleschau: Sind Sie grundsätzlich ein Perfektionist?
Graffin: Nein, das bin ich nicht. Aber ich bin fordernd, was sicherlich auch meinem Hintergrund als Dozent geschuldet ist. Wenn ich etwas von jemanden verlange, möchte ich auch, dass sie oder er sich anstrengt. Das Ergebnis ist dabei zweitrangig. Wenn ich aber sehe, dass derjenige sich mehr als nur bemüht hat, ist das schon einmal der halbe Weg zum Erfolg.
teleschau: Haben Sie keine Angst, dass Ihnen mit dieser Einstellung Ihre Studenten auf der Nase herumtanzen?
Graffin: Hey, ich bin Vater, mir tanzen jeden Tag bereits meine eigenen Kinder auf der Nase herum (lacht). Das ist ein allgemeines Problem in unserer Gesellschaft: Die Angst davor, die Kontrolle über etwas zu verlieren. Das ist ja auch einer der Gründe, warum so viele Leute lieber eine Kontaktbörse im Internet aufsuchen, als selbst hinaus zu gehen, um jemanden kennenzulernen. Alle wollen sie die Kontrolle darüber haben, wer wirklich zu einem passt. Die wenigsten trauen sich noch, einen Menschen von Angesicht zu Angesicht zu daten.
teleschau: Sie lehren nun seit Jahren an der Universität Evolutionsbiologie. Wie veränderte sich im Laufe der Zeit die Weltansicht Ihrer Studenten?
Graffin: Meine Studenten haben mehr Selbstzweifel als früher und machen sich viel mehr Gedanken darüber, wie sie nach außen wirken. Meiner Erfahrung nach setzen sich die Kinder von heute verstärkt mit den Medien auseinander. Sie verbringen viel zu viel Zeit mit diesen verdammten Computern und erhalten ständig Input aus den sozialen Netzwerken. Hinzukommt auch noch das tägliche dämliche Fernsehprogramm mit den ganzen Realitiy-TV-Sendungen, in denen Leute rumrennen und behaupten, sie wären wichtiger als der Rest der Welt.
teleschau: Woher kommt dieser Egoismus?
Graffin: Ich glaube, dass die Jugend von heute durch die mediale Vernetzung sehr viele Selbstdarsteller hervorbringt. In meiner Jugend standen wir noch für etwas ein. Punkrock war damals für die meisten Leute der letzte Dreck, aber uns war das egal. Mir gefiel die Gesellschaft von damals nicht. Aber ich war nicht so einfältig zu glauben, dass die Gesellschaft sich für mich interessieren würde. Wir wollten die Leute mit unserer Art Dinge aufzufassen zum anders Denken provozieren. Das ist heute anders und funktioniert so nicht mehr.
teleschau: Sind Sie wütend auf die heutige Jugend, weil sie für nichts Wichtiges mehr einsteht und so Ich-fixiert ist?
Graffin: Wütend nicht. Ich kämpfe eher mit Leidenschaft dafür, dass sich etwas ändert. Bei uns in den USA ist es so, dass Lehrer und Professoren von Haus aus chronisch unterbezahlt werden. Jugendliche etwas zu lehren, ist demnach eine Ideologie. Würde ich das des Geldes wegen machen, hätte ich niemals meine Professur angenommen. Es mag zwar heute einfacher sein, an Informationen heranzukommen, aber die Qualität und die eigene Empathie leiden verstärkt unter dieser schnelllebigen Nutzung. Es geht mittlerweile nur noch darum, wer in kürzester Zeit mehr Neuigkeiten streuen kann. Das hat schon solche Züge angenommen, dass es wichtiger ist, möglichst viele Freunde in seiner Facebook-Liste zu haben und nicht mehr, wie viel eigentliche Zeit man mit denen privat verbringen könnte.
teleschau: Sind soziale Netzwerke die Wurzeln allen Übels?
Graffin: Das geht weit über die Grenzen von Facebook und Co. hinaus. Wir konsumieren mittlerweile nur noch Artikelüberschriften und hinterfragen nicht die eigentliche Recherchearbeit dahinter - wenn es diese überhaupt gibt. Jeder betreibt ja seinen eigenen Blog und postet irgendein Zeug online. Nehmen wir als Beispiel die Nachrichtensendung "Fox News" bei uns in den USA: Die sind bekannt dafür, Halbwahrheiten oder auch glatte Lügen zu verbreiten, ohne die bestehenden und bestätigten Fakten in ihrer Berichterstattung miteinzubeziehen. Das ist meine Leidenschaft, ich kämpfe dafür, dass Wissen und Fakten untrennbar werden.
teleschau: Und wie geben Sie Ihre Leidenschaft an Ihre Studenten weiter?
Graffin: Ich kann in meinem Unterricht leider nicht so leidenschaftlich sein, wie ich es gerne hätte. Das große Problem ist: Ich lehre an einem naturwissenschaftlicchen Lehrstuhl. Da sind die meisten gegenüber der Leidenschaft nicht sehr aufgeschlossen (lacht). Viele Wissenschaftler sind sehr skeptisch, wenn jemand außerhalb seines Fachgebietes agiert. Als Sänger einer Band falle ich da völlig aus dem Rahmen, da einige annehmen, dass ich meine wissenschaftliche Expertise nur nutze, um meinen eigenen Bekanntheitsgrad zu erhöhen.
teleschau: Ihre Popularität half aber sicherlich, Ihr Buch "Anarchie und Evolution: Glaube und Wissenschaft in einer Welt ohne Gott", das im konservativen Amerika hohe Wellen schlug, bekannter zu machen.
Graffin: Meine Intention war aber, das fundamentale Thema der Evolution anzustoßen und nicht, mich in den Fokus zu stellen. Ich trat mit dem Buch in einigen Talkshows auf, um die Gesellschaft für die Evolution zu sensibilisieren. Viele Menschen in den USA assoziieren Darwinismus automatisch mit Atheismus und untergraben mit dieser These eine ganze, auf Fakten basierende Wissenschaft. Das ist ärgerlich, da viele einfach die Augen und Ohren verschließen und die gesammelten Erkenntnisse wegzulächeln versuchen. Und dabei geht es mir als Wissenschaftler nicht einmal um die Entwicklung von Flora und Fauna, sondern um gesellschaftliche Anstöße.
teleschau: Ist der Mensch biologisch überhaupt in der Lage, in einer Gesellschaft zu leben?
Graffin: Zuallererst werden alle Lebewesen, ob sie es wollen oder nicht, in die Welt hineingeboren. Niemand fragt einen, ob er leben möchte, das passiert ganz natürlich. Doch dann beginnt der gesellschaftliche Aspekt: Wie komme ich mit den ganzen Individuen aus, die ebenfalls auf der Welt leben? Derzeit schreibe ich an dem Buch "Population Wars" (zu Deutsch: "Bevölkerungskriege", d. Red.) und gehe der Frage nach, was die biologische Erklärung des Mit- statt Gegeneinander ist. Meine Erkenntnis bis jetzt ist, dass jede Spezies ein eigenes Individuum darstellt. Zwar stehen wir alle in engem Kontakt zueinander, dennoch leben wir in Parallelgesellschaften und haben so gar nichts miteinander gemein.
teleschau: Ist das Zusammenleben ein Bestandteil der menschlichen Zivilisation?
Graffin: Das ist die elementare Frage meines Buches: Können wir unser gesammeltes Wissen über die Entwiccklung der Gesellschaft dafür verwenden, um endlich einmal zusammen und in Frieden leben zu können? Ich bin der festen Überzeugung, dass wir aus den historischen Fakten lernen müssen. Wenn wir als moderne Gesellschaft begreifen würden, wie Menschen früher litten, um friedlich miteinander zu leben, würde uns das wahnsinnig helfen, diese Parallelgesellschaft aufzubrechen.
teleschau: Das erinnert an die Rassenunruhen in Los Angeles von 1992, als sich jahrelang angestauter Hass und Repressionen gegenüber der afroamerikanischen Bevölkerung plötzlich in Gewalt entluden.
Graffin: Das, was vor 21 Jahren passierte, ist eines der wichtigsten Ereignisse der jüngeren gesellschaftlichen Geschichte in den USA. Auslöser war ja die brutale Polizeigewalt an Rodney King und der unverständliche Freispruch der Polizisten. Deswegen rasteten die Leute auf einmal aus. Er wurde zum Symbol dessen, was jahrelang parallel ablief und von niemanden unterbunden wurde. Sein Zitat, ob wir nicht alle versuchen sollten, einfach miteinander auszukommen, steht sinnbildlich für das, was ich mit "Population Wars" derzeit untersuche. Los Angeles ist ein Beispiel dafür, wie verschiedene Ethnizitäten nebeneinander leben und nichts von dem anderen Mikrokosmos neben sich mitbekommen. Die Rassenunruhen rüttelten glücklicherweise die Politik etwas wach.
teleschau: Im Dezember 2012 vermeldete die Polizei von New York City, dass es mal einen Tag ohne Gewaltdelikte in der Großstadt gab. Ist das nun ein gutes oder schlechtes Zeichen?
Graffin: Für die polizeiliche und städtische Statistik ist das sicher von Vorteil. Allgemein ging die Kriminalitätsrate in den USA in den letzten Jahren deutlich zurück. Ich glaube, dass es mittlerweile weniger Kriminelle gibt, da die den ganzen Tag online abhängen (lacht). Natürlich ist es schön, dass die Gewaltdelikte zurückgegangen sind, dennoch ist es befremdlich, dass man an einem Tag die Statistik feiert und an den 364 anderen Tagen des Jahres weiter gemordet wird.