Mit BAD RELIGION hat Brett Gurewitz gerade ein Album namens Christmas Songs veröffentlicht, was entweder eine witzige Idee, ein subversives Statement oder ein richtig beknackter Move ist. Dabei ist die Beziehung zwischen dem Weihnachtsmann und ihm eine Geschichte voller Missverständnisse.
Brett, ist Weihnachten für dich immer noch so wie damals, als du all diese Lieder zum ersten Mal gehört hast?
Brett Gurewitz: Nein, eigentlich nicht. Weihnachten ist vor allem für Kinder aufregend, denn für sie ist es eine magische Zeit, und man bekommt natürlich Geschenke. Heute nehme ich Weihnachten vor allem als Feiertag war, der aufs Krasseste kommerzialisiert wurde und dadurch sehr anders geworden ist.
Mit Bad Religion hast du allerdings gerade selbst ein Weihnachtsalbum aufgenommen, dem man kommerzielle Hintergedanken vorwerfen kann.
Man kann es zumindest so sehen, ja, und das verstehe ich auch. Aber für mich ist ein Weihnachtsalbum von Bad Religion eher ein sozialer Kommentar, fast schon ein Experiment. Immerhin sind wir in der Band alle überzeugte und progressive Atheisten, sodass solche Songs in unseren Händen und in unserem Punkrock-Stil das Christentum eher entweihen. Wie ein Heide im Gottesdienst. Oder wie ein Heide, der die Predigt hält. Und auch wenn der Einfluss von Bad Religion sehr subtil und sehr graduell ausfällt, würde ich gerne glauben, dass man Stück für Stück an der religiösen Weltansschauung sägt, wenn man als Humanist solche Mitsing-Songs einspielt. Wenn Bad Religion also Weihnachtslieder spielen, tragen wir hoffentlich dazu bei. Darum geht es uns zumindest. Es geht jedenfalls nicht darum, Geld zu verdienen. Da würde ein Weihnachtsalbum von Bad Religion nicht viel Sinn ergeben.
Vielleicht erlebt ihr auch eine Überraschung, und die Platte endet in ganz Amerika als Geschenk unterm Weihnachtbaum. Die Zielgruppe ist schließlich groß genug.
Mag sein. Klar hoffe ich, dass die Leute darüber reden und das Album in den kommenden Jahren die eben angesprochenen sozialen Auswirkungen haben wird. Aber rein kommerziell verspreche ich mir nichts davon. Klar glaube ich, dass die Platte den Leuten auch gefällt, aber genau das ist auch der Punkt. Es ist so wie mit Comedians. Wenn die politische Kommentare abgeben, tun sie das so, dass auch die Konservativen darüber lachen können. Erst hinterher fragen sie sich, ob das überhaupt so witzig war, und das nimmt ihren Überzeugungen etwas die Kraft. Das ist auch unser Kalkül. Wenn die religiösen Traditionalisten merken, dass sie aus Versehen Bad-Religion-Songs mitsingen, wird ihnen das hoffentlich etwas den Wind aus den Segeln nehmen.
Oder es nimmt euch und eurer Botschaft etwas den Wind aus den Segeln.
Darüber mache ich mir keine Sorgen. So viel Macht haben wir nicht. Und daran sind wir auch nicht interessiert. Obwohl ich glaube, dass Kunst an sich relativ viel Macht hat. Egal ob es um Comedy, Theater oder Musik geht - auch damit lässt sich die Gesellschaft verändern. Diese Veränderung kommt nicht aus der Politik, nicht von den Universitäten und nicht einmal durch Aktivismus. Die Veränderung kommt durch die Kultur zustande, und die wird eben geprägt von Kunst und Literatur und meinetwegen sogar Sport. Gerade die Arbeit von Comedians kann sehr tiefgreifend dabei sein, soziale Veränderungen zu bewirken.
Dass es Weihnachtslieder sein müssten, stand für euch aber schon immer fest, oder? Immerhin gibt es ja auch noch andere Religionen, und ein Hanukkah-Album von Bad Religion klingt doch eigentlich auch ganz geil.
Dagegen sprechen zwei Gründe. Erstens: Hanukkah-Songs sind alle Scheiße. Ich war zu Weihnachten immer super neidisch deswegen, weil meine Freunde alle coole Songs singen durften und die Songs aus meiner Tradition nur Müll waren. Zweitens, und was viele Leute nicht wissen: Greg hat als Kind im Kirchenchor mit dem Singen angefangen. Seine Begabung dazu wurde schon in der Grundschule entdeckt, und er hat damit mehrere Wettbewerbe und ein Stipendium gewonnen. Diese Songs waren also alle sehr wichtig in Gregs früherem Leben als Musiker. Er kennt sie in- und auswendig, und das kann man den Arrangements auch anhören.
Am Ende der Platte steht ein Remix von American Jesus, einem song, den ihr vor 20 Jahren geschrieben habt. Was hat es damit auf sich?
Als wir gerade mit Recipe For Hate fertig waren, haben wir einen Anruf von Andy Wallace erhalten. Er sagte, er würde gerne unsere nächste Platte produzieren. Damals hatte er gerade Nirvanas Nevermind und das erste Album von Rage Against The Machine gemacht, also war er entsprechend begehrt. Wir waren zu dem Zeitpunkt aber gerade auf Tour, also haben wir ihm nur diesen Song für einen Mix geschickt. Wenn er uns gefallen würde, sagten wir, dürfte er die nächste Platte produzieren, also Stranger Than Fiction. So ist es auch gekommen, aber sein Mix ist nie erschienen, obwohl er viel besser war als meiner. Für die neue Platte haben wir weniger Weihnachtssongs fertigbekommen als wir eigentlich vorhatten. Also haben wir die Gelegenheit ergriffen, den Song noch mal zu verbraten.
Was ist denn aus den anderen Weihnachtsliedern geworden?
Es sollten ursprünglich zehn werden, aber wir haben nur acht geschafft, weil wir mit den anderen beiden nicht wirklich zufrieden waren. Es wird aber noch eine Seven-Inch-Single mit unserer Version von Father Christmas von den Kinks geben. Der Song ist einer meiner absoluten Lieblingssongs überhaupt, und was Weihnachten angeht, einer von vielleicht zwei unumstrittenen Favoriten. Er erschien 1977, als sich alle an ihrer Version von Punk versuchten, und die Kinks kamen tatsächlich relativ weit damit.
Und was ist der andere Favorit?
Santa Claus Is Coming To Town von Bruce Springsteen. Ich mag aber auch viele der Weihnachtssongs, die Phil Spector produziert hat. Sein Album A Christmas Gift For You From Phil Spector ist ein echter Klassiker.
Feierst du denn Weihnachten in deiner Familie?
Ja, auch weil es als Fest zur Familie meiner Frau gehöhrt. Wir haben da immer das ganze Programm vor uns: Strümpfe am Kamin und Geschenke für die Kleine.
Kommt denn auch der Weihnachtsmann?
Na klar. Meine Tochter ist vier und glaubt natürlich an den Weihnachtsmann. Aber das ist auch okay so, mit vier muss man noch kein wissenschaftsbasiertes Weltbild haben. Sie wird schon noch früh genug lernen, dass es die Zahnfee und den Weihnachtsmann nicht wirklich gibt. Selbst als Rationalist und Humanist bin ich der Meinung, dass Kinder durchaus eine magische Kindheit haben sollten. Es ist einfach cool, an solche Sachen zu glauben, wenn man ein Kind ist. Natürlich müssen sie das später dann wieder ablegen, und damit fangen die Probleme dann an. (lacht)
Denkst du, dass die Religiosität in der heutigen Gesellschaft insgesamt auf dem Rückmarsch ist?
Ja, das glaube ich wirklich, auch wenn es etwa in den USA ein sehr langsamer Prozess ist. Ich kann nicht beurteilen, wie lange das in Europa gedauert hat, aber Amerika ist eben auch viel jünger. Doch selbst wenn viele Leute der Musik hier etwa 100 oder 200 Jahre hinterherlaufen, bin ich guter Dinge.
Vielleicht haben sie einfach Angst?
Ich glaube eher, dass sie einfach Idioten sind.
- Markus Hockenbrink
Zur Person
Brett Gurewitz, Jahrgang 1972, gründete als 17-Jähriger mit Greg Graffin, Jay Bentley und Jay Ziskrout die einflussreiche Westcoast-Punkband Bad Religion. Seitdem hat er die Gruppe mehrmals verlassen, aber nie lange genug, um gänzlich vom Kreativprozess abgeschnitten gewesen zu sein. Seit 2002 ist er wieder auf jeder Platte zu hören gewesen, auch wenn er live nur noch selten mit von der Partie ist. Zu tun hat der Mann trotzdem genug: Gurewitz ist nicht nur Eigentümer des genreprägenden Labels Epitaph, sondern auch Chef der Schwesterlabels Anti, Burning Heart und Fat Possum. Als Produzent trat er unter anderem für Bands wie L7, NOFX, Rancid und Pennywise in Erscheinung. Mit seiner zweiten Frau und der gemeinsamen Tochter wohnt Gurewitz in Pasadena/Kalifornien.
Ich kann mich nicht erinnern, wann ich Exile On Main St. zum ersten Mal gehört habe, aber ich glaube, die wahre Größe des Albums habe ich irgendwann Mitte der 80er-Jahre entdeckt. Bad Religion gab es da schon. Wenn man damals in Kalifornien eine Band gründete, war man in der Regel stark von Classic Rock beeinflusst, so dass all die Songs auf Exile On Main St. indirekt eh schon Teil meines Bewusstseins waren. Als durchgängiges Album habe ich die Platte aber erst später wahrgenommen, weil ich mich zwischendurch für Punk interessierte und erst hinterher wieder für die Stones. Gerade meine Tätigkeit als Produzent hat mich dazu gebracht, mir die Klassiker der Rockgeschichte aus einem neuen Blickwinkel anzuhören. Dabei ist mir aufgefallen, wie fantastisch diese Platte vom allerersten Song an ist. Ich weiß, dass das kontrovers klingt, aber für mich ist Exile On Main St. extrem Punk. Sie ist roh, sie ist verzweifelt, sie ist gefährlich. Ich halte sie für die wahrscheinlich beste Rockplatte aller Zeiten. Das Debütalbum der Ramones ist auch ziemlich gut und natürlich sehr einflussreich, aber ich denke nicht, dass es deswegen auch das beste ist. Als Person und Künstler hatte Exile On Main St. den größeren Effekt auf mich, aber das sage ich auch jetzt mit 51 Jahren. Als Jugendlicher hätte ich mich vielleicht eher für die Ramones entschieden, weil das damals die Band war, die für mich alles auf den Kopf stellte. Ich kann nicht sagen, dass ich die Karriere der Stones weiter verfolge, denn ich habe inzwischen andere Idole. Aber insgesamt kann kein Album Exile On Main St. das Wasser reichen.
BRETT GUREWITZ, Jahrgang 1962, ist seit 1980 Gitarrist und songwriter der L.A.-Punk-Ikonen Bad Religion, hat sich aber aus dem Tourleben der Band zurückgezogen. Er tritt auch als Eigentümer des einflussreichen Labels Epitaph in Erscheinung.
Es gibt exakt ein Album, das über all die Jahrzehnte nie meinen Plattenspieler verlassen hat: Madman Across The Water. Ich höre viel neue Musik. Ich kaufe Platten, lade Songs herunter, bekomme auf Tour CDs zugesteckt. Ich höre mir das alles an, und von Zeit zu Zeit ist etwas dabei, dass mich wochenlang in seinen Bann zieht. Ich bin glücklich, höre die Musik rauf und runter, aber dann bin ich durch damit. Dann höre ich wieder Madman Across The Water. So geht das schon, seit ich das Album als Kind entdeckt habe. Mein Vater legte es immer auf. Er war kein Musiknerd, sein Horizont war beschränkt: Er liebte die Stones und Elton John, er hasste Elvis und die Beatles. Punkt. Trotzdem lief bei ihm immer Musik. Nicht laut, aber ohne Pause. Wenn er sich eine Sportübertragung ansah, stellte er den Fernseher auf stumm, damit ja nichts die Musik störte. Levon war der erste Song, den ich mit Madman Across The Water verbinde. Meine Eltern lebten in Trennung, das war eine harte Zeit für mich. Der Junge, über den Elton John in Levon singt, der in einem Ballon seinem Vater davonfliegt - der wollte ich auch sein: "Scheiße, Dad, ich bin raus hier. Leb wohl!" Heute steht jeder Song der Platte für eine bestimmte Situation oder Lebensphase. Und ich weiß, dass es Brett Gurewitz da ähnlich geht. Jahrelang haben wir unser Faible für Elton John vor den anderen in der Band geheim gehalten. Das ist ja nicht gerade Punkrock. Wir saßen im Tourbus, hörten Elton John über die Kopfhörer, und wenn wir ausstiegen, meinten wir zu den anderen: "Habt ihr die neue Black Flag gehört? Wahnsinnsplatte, was?" Inzwischen stehen wir zu Elton John.
JAY BENTLEY, Jahrgang 1964, ist Bassist und Mitgründer von Bad Religion. Er stieg während ihrer Identitätskrise Mitte der 80er aus, die Bad Religion bis in den Hard- und Progrock führte. Mit dem Punk kam auch Bentley zurück. Er ist Vater zweier Söhne.