Category: | Interview - Magazine | Publish date: | 1/1/2002 |
Source: | Uncle Sally*s #73 (February 2002) (Germany) | With: | Brett Gurewitz |
Synopsis: |
Das Verhältnis von Bandmitgliedern untereinander ist oftmals dem in einer Liebesbeziehung durchaus ähnlich: Nach Jahren des glücklichen Zusammenseins können die Partner plötzlich zu der schmerzlichen Feststellung kommen, dass sie einfach nicht mehr miteinander können und eine Trennung unausweichlich ist. Manchmal finden die Parteien nach einiger Zeit jedoch wieder zueinander, weil man realisieren muss, dass der eine ohne den anderen doch nicht zurecht kommt. Und in ganz seltenen Fällen ist das Verständnis untereinander nach der Versöhnung wieder genau so gut wie zu Beginn, oder sogar besser. BAD RELIGION und Brett Gurewitz sind das beste Beispiel dafür.
Als Anhänger der kalifornischen PunkRock-Institution hatte man es in den vergangenen Jahre wahrhaft nicht leicht. Nachdem BAD RELIGION seit der Gründung 1980 über ein Jahrzehnt hinweg konstant großartige Platten veröffentlichten, schien der Band mit dem Verlust von Gitarrist und Hauptsongwriter Brett Gurewitz auch ein Großteil ihrer Inspiration abhanden gekommen zu sein. Nachdem sich die Wege von Gurewitz und dem Rest der Band 1994 nach den Aufnahmen zum ersten Majoralbum 'Stranger Than Fiction' getrennt hatten, nahm die Qualität der folgenden Veröffentlichungen beständig ab. Keine der Platten, die zwischen 1994 und 2000 erschien, konnte in musikalischer oder textlicher Hinsicht mit den früheren, auf dem eigens von der Band gegründeten Label 'Epitaph' veröffentlichten Alben mithalten. Den absoluten Tiefpunkt hatte man anno 2000 erreicht: Das bis dato letzte Album 'The New America' war bis auf wenige Ausnahmen eine Ansammlung von Belanglosigkeiten ohne Biss und Tiefenwirkung, beinahe schon eine Bankrotterklärung einer zu diesem Zeitpunkt offensichtlich kreativ ausgebrannten Band, und damit das genaue Gegenteil von dem, was PunkRock eigentlich sein sollte: relevant und aussagekräftig.
Nun schreiben wir das Jahr 2002, und ganz plötzlich und unerwartet steigt der PunkRock-Phönix aus der Asche und präsentiert sich schöner denn je: 'The Process Of Belief', die soeben erschienene neue Platte, ist das mit Abstand bisher beste Album, das BAD RELIGION je aufgenommen haben - und das will nach wegweisenden Alben wie 'Suffer', 'No Control' oder 'Recipe For Hate' wirklich etwas heißen.
Dass Greg Graffin, der seit gut 20 Jahren für den charakteristischen Gesang der Band verantwortlich ist, beim Interviewtermin dann auch rundum zufrieden und ausgeglichen wirkt, kann kaum überraschen - der Mann weiß, was er und seine Mitstreiter vollbracht haben. Und genau deshalb hat er auch den Mut zur Selbstkritik: 'Ich gebe ganz offen zu, dass ich heute mit unseren vorherigen Alben auch nicht völlig glücklich bin. 'Stranger Than Fiction' war noch eine sehr gute Platte, aber alles, was danach kam, kann mich heute nicht mehr voll überzeugen. Deswegen bin ich auch so glücklich mit unserem neuen Album: Es hat genau den Sound, den ich mir gewünscht habe, und klingt ganz einfach so, wie BAD RELIGION klingen sollen.'
Wie bereits angesprochen ist dafür vor allem und insbesondere Brett Gurewitz verantwortlich, der - nachdem er jahrelang zusammen mit Graffin fast alleine für das Songwriting von BAD RELIGION zuständig war - auf Grund seiner Drogensucht und einigen anderen Querelen die Band Ende 1994 verlassen hatte. In den darauf folgenden Jahren gelang es Gurewitz zwar, 'Epitaph' zum relevantesten PunkRock-Label überhaupt auszubauen und als Produzent unzählige gute Scheiben mitzuverantworten, in punkto Selbst Musik machen jedoch regte sich kaum etwas. Nun ist er also wieder in den heimatlichen Schoß seiner Mitmusiker zurückgekehrt, und dass nicht nur als Musiker, sondern gleichzeitig auch noch als Produzent und Labelboss. Und Graffin macht keinen Hehl daraus, dass er glücklich ist, seinen musikalischen Bruder wieder mit an Bord zu haben: 'Wenn du mich fragst, was den letzten BAD RELIGION-Alben fehlte, ist die Antwort ganz einfach: Brett. Wir beide sind Songwriter, die nur zusammen wirklich gut funktionieren. Ich kann das nicht erklären, aber allein die Tatsache, dass Brett in der Zeit ohne BAD RELIGION praktisch so gut wie keinen Song geschrieben hat, spricht Bände. Er war einfach nicht in der Lage, ohne mich irgendetwas zu schreiben. Er hat über Jahre hinweg keine Musik gemacht, obwohl jeder weiß, wie viel ihm das bedeutet. Und deswegen ist es gut, dass wir wieder vereint sind. Denn wir ergänzen uns perfekt. Ohne mich ist er genauso aufgeschmissen wie ich ohne ihn.'
Ganz offensichtlich ist auch der Rest der Band zu eben dieser Einsicht gelangt - glaubt man Graffin, gab es zu keinem Zeitpunkt eine Diskussion jedweder Art darüber, ob Brett wieder einsteigen soll oder nicht. 'Die anderen in der Band sind genauso glücklich über Bretts Rückkehr wie ich. Ich habe in den Jahren ja nie wirklich den Kontakt zu ihm verloren, und vor einiger Zeit saßen wir mal wieder zusammen, und ich habe ihn gefragt, ob er nicht mit mir ein paar Songs schreiben will. Er hat zugestimmt, und ich glaube, dass er schon sehr glücklich über dieses Angebot war. Danach ging alles wie von selbst, es funktionierte so gut, als ob wir nie getrennt gewesen wären.'
Auch die Tatsache, dass BAD RELIGION nun über drei Gitarristen verfügen, sei nicht wirklich problematisch: 'Nein, das ist kein Problem, im Gegenteil, man hat ja so auch eine ganze Menge neuer Möglichkeiten. Wenn es überhaupt eine Schwierigkeit mit sich bringt, dann die, dass ich in Zukunft weniger Platz auf der Bühne haben werde. Aber ich denke, damit werde ich zurechtkommen.'
Mit der Rückkehr von Mr. Brett ist man auch zum alten Label zurückgekehrt, die neue Scheibe erscheint wieder bei 'Epitaph' - dem Label, das Gurewitz einst vor allem deshalb gegründet hatte, weil niemand sonst die Platten von BAD RELIGION veröffentlichen wollte: 'Es macht einfach Sinn, wieder bei 'Epitaph' zu sein. Es ist Bretts Label, und Brett macht einen Großteil von BAD RELIGION aus, also warum nicht wieder bei 'Epitaph' rausbringen? Ich wurde schon oft gefragt, ob das ein Beweis dafür sei, dass BAD RELIGION und ein Major-Label nicht funktionieren, aber das muss ich verneinen. Wir haben in der Zeit bei 'Atlantic' viel gelernt. Man muss aber auch bedenken, dass damals, als wir 'Epitaph' verlassen haben, gerademal eine Hand voll Leute für das Label arbeiteten. Brett selber hat uns geraten zu wechseln. Heute ist 'Epitaph' eine richtig große Firma, die du mit dem Label von damals in vielen Punkten gar nicht mehr vergleichen kannst.'
Aber - Label hin oder her - machen wir uns nichts vor: Den richtig großen kommerziellen Durchbruch wird diese Band wahrscheinlich sowieso nie erleben, auch wenn sie es verdient hätte. Und andere, kommerziell weitaus erfolgreichere Bands wie THE OFFSPRING hätten ohne BAD RELIGION womöglich niemals angefangen, Musik zu machen. Wahrscheinlich sind BAD RELIGION einfach zu gut, als dass sie von der Masse wahrgenommen werden könnten. Oder?
'Ich weiß auch nicht genau, woran es liegt, dass wir nie so populär geworden sind wie viele andere Punkbands. Einer der Gründe ist wahrscheinlich, dass wir sozusagen 'philosophische Schwergewichte' sind. Unsere Texte sind nicht ganz einfach zu greifen, es steckt ein Menge Gesellschaftskritik darin und viel Unangenehmes, worüber sich viele einfach keine Gedanken machen wollen. Und da denken sich dann beispielsweise die meisten Radiosender, dass es wohl besser wäre, so etwas nicht zu senden, schließlich will man seine Hörer ja nicht mit derart schwerem Material konfrontieren.' Da lässt ein Programmverantwortlicher doch lieber pubertäre Unwichtigkeiten der Marke BLINK-182 auf die werte Hörerschaft los: 'Ja, die sind gerade textlich das genaue Gegenteil von uns - keine Schwergewichte, sondern ganz leichte, schwebende Federn...'
Die Zeiten, in denen die Band über derartige Umstände verbittert wäre, sind aber vorbei, dafür sind die Herren schon zu lange im Geschäft: 'Wir haben schließlich unsere Fans, die alle unsere Aktivitäten mitverfolgen und denen unsere Musik ungeheuer viel bedeutet. Dieses Album ist demnach auch vor allem für die Fans, die uns so lange die Treue gehalten haben.'
Und es wäre wirklich ein Wunder, wenn diese Fans nicht restlos begeistert wären. Denn 'The Process Of Belief' orientiert sich sehr deutlich am 'Suffer'-Album von 1988, das für nicht wenige die wichtigste PunkRock-Platte der 80er Jahre darstellt. 'The Process Of Belief' vereint die Ungestümheit, die Energie und den Biss eben dieser Scheibe mit den produktionstechnischen Mitteln von heute und dem ein oder anderen soundtechnischen Experiment, so dass das neue Album ein großartiger Kompromiss aus alten Tugenden und neuen Werten geworden ist, sozusagen das Beste von gestern, heute und morgen. Apropos morgen: Geht es nach der Band, würde man sofort mit den Arbeiten an der neuen Platte beginnen: 'Wir haben so viele Ideen, dass ich es jetzt schon kaum abwarten kann, neue Songs zu schreiben. Wir werden natürlich zuerst ausführlich auf Tour gehen, aber ich merke einfach, dass wir so viel Elan haben, dass es wahrscheinlich nicht lange dauern wird, bis wieder was Neues im Kasten ist.'
Eine großartige Band erlebt also ganz offensichtlich ihren zweiten Frühling. Uns kann das nur Recht sein - die Band, die sowohl musikalisch als auch inhaltlich die Lücke füllen könnte, die BAD RELIGION eines Tages am Ende ihrer Karriere hinterlassen werden, ist bisher schließlich noch nicht gesichtet worden.