Category: | Interview - Magazine | Publish date: | 6/1/2004 |
Source: | Uncle Sally*s #97 (June 2004) (Germany) | With: | Greg Graffin |
Synopsis: |
'The Empire Strikes First' - mit diesem Albumtitel dürften Bad Religion bei der Wahl zum besten Platten-Namen 2004 ganz vorne mit dabei sein. Aber auch musikalisch wird hier wieder Punkrock der Extra-Klasse geboten: Nach dem Comeback-Album 'The Process Of Belief' schafft es das kalifornische Urgestein erneut, den ganzen handzahmen Pop-Punk-Nachwuchsbands der Marke Good Charlotte und Co. kräftig den Marsch zu blasen.
Ein wenig überrascht das schon; schließlich hatten Bad Religion in den späten Neunzigerjahren nicht gerade ihre Hochphase. Die Platten wurden immer schwächer und reichten qualitativ längst nicht mehr an frühe Meisterwerke wie 'Suffer' oder 'No Control' heran - an die Klassiker also, die dereinst ganze Horden von Bands wie Pennywise oder Offspring überhaupt erst zum Musikmachen animierten. Dann aber kam Gründungsmitglied Brett Gurewitz, Besitzer des legendären Labels 'Epitaph', nach Überwindung seiner Drogensucht 2002 zurück in die Band - und plötzlich wurde alles wieder gut. Der Hauptsongwriter und Gitarrist hauchte der Band wieder die nötige Frische und Energie ein, und nach dem grandiosen Album 'The Process Of Belief' (2002) ist auch 'The Empire Strikes First' ein derart unverbraucht klingendes und mitreißendes Stück Musik geworden, wie man es von einer seit 24 Jahren aktiven Band kaum erwarten würde.
'Ich kann auch nicht wirklich erklären, warum Brett so wichtig für unsere Band ist', grinst ein gut gelaunter Greg Graffin, seit Bandgründung Frontmann von Bad Religion. 'Aber sobald er wieder bei uns war, ist der Zauber einfach zurückgekehrt. Er und ich bilden eine symbiotische Beziehung - wenn er dabei ist, schreiben wir einfach automatisch gute Songs.'
Diese guten Songs warten natürlich erneut auch mit den bekannt vielseitigen und tiefgründigen Texten auf - die Tatsache, dass Graffin kürzlich seinen Doktor-Titel an der Universität erworben hat, dürfte dem eher noch zuträglicher gewesen sein. Schließlich beschäftigt sich schon der heftig treibende Eröffnungstrack 'Sinister Rouge' mit dem Thema, das auch in Graffins Doktorarbeit die zentrale Rolle spielte: 'In 'Sinister Rouge' geht es darum, dass die Kirche immer mehr von ihrem Einfluss verliert. Über Jahrhunderte hinweg konnte sie mit diversen Gräueltaten die Menschen immer wieder einschüchtern und Macht an sich reißen, mittlerweile spielt sie aber eine immer kleinere Rolle - und der Grund dafür ist der Aufstieg der Naturwissenschaften. Immer mehr Phänomene lassen sich logisch erklären, und je mehr wir von der Welt verstehen, desto überflüssiger wird die Kirche.'
Nähern wir uns also einer Zeit, in der Religionen keine Rolle mehr spielen - in denen der Name Bad Religion mehr denn je seine Berechtigung erhält? 'Ich denke, Religionen wird es immer geben. Aber wir bewegen uns hin zu einer anderen Form des Glaubens - eine Form, die weitaus naturalistischer ist. Man wird mehr im Einklang mit der Natur leben, und Angst wird keine so große Rolle spielen'.
Keine Sorge, Graffin und seine Band haben nicht auf einmal die Spiritualität für sich entdeckt - auf 'The Empire Strikes First' gibt es so viel Wut und Unzufriedenheit über herrschende Verhältnisse wie eh und je. Die erste Single 'LA Is Burning' etwa ist mal wieder eine gnadenlose Abrechnung mit dem künstlichen und überhöhten Selbstbild der Amerikaner - und wie schnell deren Traumblase platzen kann. 'Der Song ist inspiriert von den schweren Waldbränden, die im letzten Jahr rund um Los Angeles wüteten. Damals bestand ja die Gefahr, dass auch ganz Hollywood dran glauben muss, und das hat bei vielen Menschen riesige Angst verursacht. Schließlich wird in Hollywood die amerikanische Identität geformt, jede Fernsehshow wird dort produziert - selbst die, die eigentlich in New York spielen. Ohne diese Traumfabrik hätten die meisten Amerikaner kein eigenes Selbstbild mehr - denn die meisten Bürger ziehen all das, was sie wissen und glauben, aus den stupiden TV-Sendungen.'
Sollten eben mehr Bad Religion hören, die Amis. So wie die deutschen Kids - die katapultierten 'The Process Of Belief' schließlich tatsächlich auf die vorderen Plätze der hiesigen Album-Charts, und es würde schon sehr verwundern, wenn mit 'The Empire Strikes First' nicht das Gleiche passiert. Denn im Gegensatz zu anderen bereits seit zwei Dekaden aktiven Bands schaffen es Bad Religion immer noch, auch die ganz jungen Musikhörer auf ihre Seite zu ziehen - was Greg Graffin nicht sonderlich verwundert, denn 'schließlich führen alle Wege nach Rom. Die Kids, die heute den Einstieg in den Punkrock durch bekanntere Bands wie Blink 182 oder Good Charlotte finden, interessieren sich ja dann oft auch für die Anfänge des Ganzen - und dann müssen sie sich naturgemäß einfach mit uns auseinander setzen.'
Mangelndes Selbstbewusstsein kann man dem guten Greg wahrhaftig nicht vorwerfen. Aber warum auch - wer eine Platte wie 'The Empire Strikes First' macht, hat auch alle Gründe, darauf stolz zu sein.