Das Schweigen der Mehrheit
Daß Bad Religions neue LP "Generator" nur von Experten mit grandioser Detailfreude von den anderen Platten seit "Suffer" zu unterscheiden ist, war zu erwarten. Daß das Album in die Charts einsteigen würde, damit war nicht zu rechnen. Und daß Bad Religion nach einer Woche Platz 49 erreichten, grenzte an eine Sensation
Offenbar gelingt es nicht mehr bloß Undergroundbands, die bei der Industrie signen, in die Hitparaden zu kommen. Denn Bad Religion erscheinen immer noch auf ihrem eigenen Label Epitaph. Und obwohl sie auch von ihren anderen Alben Stückzahlen absetzten, von denen manche Industriebands nur träumen, stellt sich angesichts der 49er Plazierung die Frage, wer wohl jetzt die Bad-Religion-Hörer sind? Die typischen Nirvana-Fans? Eher nicht. Stoische Tote-Hosen-Anhänger? Fun-Punk-Kids? Jedenfalls kombinieren Bad Religion traditionell chartsträchtige Elemente: eine warme Emotionalität, (von der moralisierenden Wahrheits- und Weltschmerzkrämerei gar nicht zu sprechen: "we'll pretend it's Christmas day in my atomic garden" etc.) und hübsche Melodien; daß eine gewisse Härte nun fashionable erscheint, kommt ihnen dabei zugute.
Auf Bad Religions Musik, die nach der Pleite ihrer zweiten LP, "Into The Unknown", angstvoll nie mehr Unbekanntes auscheckte, paßte eigentlich schon immer eher der Begriff Punk Rock als Core mit irgendeinem Attribut davor. Die Core-Szene, der Bad Religions Erfolg ohnehin begann, verdächtig zu werden, gerät in eine seltsame Situation, wenn einige ihrer Exponenten Charts gehen, basierte das Core-Dissidenzmodell doch auf einer ausschließlichen Aufbewahrung alternativen Sinns parallel zur ersten Kultur (Independent eben), wobei das Netzwerk allerdings zunehmend zu einem folgenlosen, in seinen eigenen Gesetzen selbstzufrieden Mikrokosmos gerann. Und wenn Henry Rollins im letzten "Zap" soweit ging, die HC-Szene mit "arrogant und ignorant" zu betiteln und behauptete, den HC-Leuten ginge es nicht um Musik - sie verstünden "keinen Deut von Musik" - sondern nur um eine "Scheiß-Szene", dann steht Dazugehören als Bewertungskriterium wohl kaum noch zur Debatte, sondern tatsächlich nur noch gute oder schlechte Musik (Rollins: "Ich mache mein Ding und das ist Musik. Nur Musik, verstehst du."). Obwohl Brett Gurewitz es abstreitet, hat das Nirvana-Phänomen die Tipper in den Läden für den Underground sensibilisiert. Tja, es gibt übrigens eine neue No FX: ab auf Platz 30.
Die freundliche Tourbegleiterin:
"Waren die Toiletten leicht zu finden, Herr Gurewitz?"
"Ja."
"War Ihr Farbfernseher korrekt eingestellt, Herr Gurewitz?"
"Ja."
"War die Klimaanalage in Ordnung, Herr Gurewitz"
"Etwas kühl..."
"Wurden Sie vom Hotelpersonal freundlich empfangen und zuvorkommend behandelt, Herr Gurewitz?"
"Ja."
"Welchen Beruf haben Sie erlernt, Herr Gurewitz?"
"Professional Rock Star." Lachend: "Professional Punk Star."
Die weniger freundliche Tourbegleiterin:
"Das nächste Mal sagst Du bitte, wenn Du den Recorder anschaltest!"
Brett: Von welchem Magazin kommst Du? SPEX? Ist das nicht dieses kritische, respektlose Heft? Und Du hast die ganze Checkliste auf Band? Du wirst das doch wohl nicht drucken? Waren wir nicht schon mal auf Eurem Cover? Oder im Heft? Na ja, Ieg los.
SPEX: Peter Murphy ist heute abend in der Philipshalle Dein Anheizer. Genugtuung?
Nein, kann ich nicht sagen. Ich empfinde gegenüber Murphy keine Genugtuung. Ich versuche, Überheblichkeit zu vermeiden. Man sollte sich nie auf eine Position verlassen, die man gerade innehält. Schon gleich gar nicht auf eine Chartsposition. Ich meine, wir haben es gerade mal bis Platz 49 geschafft. Aber wir sind keinesfalls da, weil Nirvana für uns die Charts geknackt haben. Wir haben das aus eigener Kraft geschafft. AIs wir zurückkehrten zur "Suffer"-Zeit, waren wir ganz alleine. Wir hatten damit die Möglichkeit, Vorreiter zu sein. Jetzt sind wir es. Klar fühlen wir uns gut wegen der Charts. Weißt Du, ich fühle mich persönlich belohnt, für all die Mühe, für manch' durchfahrene Nacht, für manch' schmutziges Handtuch in der Garderobe. Aber für die Band gab es niemals ein eigentliches Ziel, keinen vorgeplanten Weg. Als wir ans Ende unserer letzten Tour kamen, sagte ein Freund: "Ihr könnt einfach nicht noch beliebter werden." Das, was wir jetzt erreicht haben, übersteigt insofern schon mein Fassungsvermögen.
Was kommen denn so für Reaktionen?
Die Leute, die in den Medien das Sagen haben, scheinen uns derzeit alle zu hassen. Aber ich denke, wir sind die Band einer schweigenden Mehrheit. Das ist es. Und alte Freunde... es verletzt mich ziemlich, wenn manche kommen und sagen: "Brett, du Dick, du hast dich verkauft. Du bist ein Arsch, ich mag dich nicht mehr." Was soll ich dazu sagen, außer: Mann, du hast mich dahingekauft, wo ich jetzt bin. Wir waren schon immer total auf uns gestellt, wir haben doch als Motoren die ganze Hard-Core-oder was auch immer Szene am Laufen gehalten, oder? Wir sind die ersten, die es von dort aus in die Charts geschafft haben, jetzt werden sicher bald welche kommen, die uns einfach nur kopieren.
Musikalisch hat sich ja nicht gerade viel getan.
Ja gut, ich gebe zu, musikalisch machen wir keine sonderlich großen Veränderungen durch. Wir haben halt unseren ganz bestimmten Sound, etwas wie ein Markenzeichen. Die musikalische Entwicklung von Bad Religion findet innerhalb dieser relativ festen Grenzen statt. Das soll heißen, daß wir wissen, was man hören will, wenn man Bad Religion hören will. Und irgendwie halten wir uns daran, damit du Bad Religion kriegst, wenn Bad Religion draufsteht.
Die von Dir geschriebenen Lieder haben in den Melodien immer Merkmale von östlichen - russischen, moldavischen etc. - Volksweisen. lst das bewußt?
Ja, ja, wir sind eine dem Folk verbundene Band. Hör Dir unsere Lieder an, die Harmoniebögen, die Septimen, die Gesangsstrukturen. Der reine Folk. Weißt Du, ich hatte eine Urgroßmutter, die kam da aus der Gegend von Polen, Rußland, Ostdeutschland (präzise amerikanische Vorstellungen von Europa, der Verf). Sie sang alle diese längst vergessenen Stücke ihrer Heimat und tanzte mit mir. Das hat mich ziemlich geprägt.
Die Tracks werden nur von Greg Graffin und Dir geschrieben.
Ja, Bad Religion ist bipolar. Die Lieder werden entweder von Greg oder von mir geschrieben. Mischmasch gibt es nicht. Wir sind keine demokratische Band, wir waren nie eine. Ich schreibe meine Lieder und Texte daheim, nehme sie auf Tape auf und die Band lernt sie dann bei der Probe. Mitreden ist nicht.
An den Texten hat sich ja auch nicht sehr viel verändert, immer ein Anliegen, kleine Geschichten, große Moral. Gehen Dir nicht irgendwann die ldeen aus?
Ich kann mich eigentlich nicht beklagen. Vieles fliegt mir einfach so zu - und auf der Welt passiert soviel Schlimmes, daß ich noch Hunderte von Platten besingen kann. (...) Versteh' mich nicht falsch, äh, nichts passiert, damit ich es besingen kann. Ich denke nur, da draußen ist soviel los, da können noch mehr Bands darüber singen, ohne jemals das gleiche Lied zu schreiben.
Wenn es noch soviele Themen gibt, und der Wille wachzurütteln so immens ist, warum dann bereits auf Single veröffentlichte Tunes nochmal aufs Album bringen, Brett?
Aha, Du spielst auf die Golfkriegs-Single an, usw. Der Vorwurf war ja gleich da, nachdem "Generator" raus war. Einige hatten die Single zum Krieg gekauft, wo wir zusammen mit Noam Chomsky zu hören sind. Wir hätten die damals auch auf Epitaph veröffentlichen können, aber da hätten alle gesagt, schau, die machen sogar noch aus dem Golfkrieg Kohle. Daher brachten wir sie über "Maximum Rock'n'Roll" raus, deren Integrität zweifelt keiner an. Und dann gabs noch die Single, die wir damals auf Sympathy For The Record Industry gemacht haben. Der Vorwurf war also, "Generator" sei eine lausige Zusammenstellung von bereits veröffentlichten Singles und älteren Tossaway Tunes. Tatsache ist, daß jedes einzelne Lied von "Generator" ganz speziell für dieses Album geschrieben wurde. Als es das Album noch nichtmal in der Konzeption gab, stand der Titelsong und der Titel "Generator" schon fest.
Aber bei manchen Songs gabs ganz einfach gute Gründe, nicht bis zum Album zu warten. Eine Single zum Golfkrieg kann eben nur während des Krieges etwas bewirken, also muß sie verdammt nochmal während des Krieges erscheinen. Es war uns wichtig, wir wollten zu diesem verdammten Krieg ein Statement abgeben. Warum für "Generator" auf diesen Song verzichten? Ist der Inhalt schlechter geworden?