Category: | Interview - Magazine | Publish date: | 12/1/2001 |
Source: | Uncle Sally*s #72 (December 2001) (Germany) | With: | Brett Gurewitz |
Synopsis: |
Brett Gurewitz, 39, Gründungsmitglied von BAD RELIGION, Padre von 'Epitaph Records', Produzent, Ex-Alcoholic, jetzt Workaholic. Nach seinem Ausstieg bei BAD RELIGION im Jahre 1994 ereilt 'Epitaph' dank des Erfolges von THE OFFSPRING der Fluch/Segen des schnellen Geldes, das Gurewitz umgehend in neue Bands, zusätzliches Personal und Drogen investiert. Mitte der 90er ist 'Epitaph' als Trademark-Label für kalifornischen MelodyPunk etabliert und prägt durch Bands wie PENNYWISE, NOFX, DESCENDENTS oder RANCID eine komplett neue Generation von Punkrockern. Gurewitz verstand es außerdem, kommerzielle Geschäfts-praktiken mit der Philosophie eines Punklabels zu verbinden, dabei bis in die Haarspitzen glaubwürdig zu bleiben und neben dem Business-Alltag noch unzählige seiner Sprösslinge selbst zu produzieren. Für das 2000er BAD RELIGION-Album 'The New America' setzten sich Sänger Greg Graffin und Gurewitz wieder an einen Tisch, kollaborierten für den Song 'Believe It' und nun, sieben Jahre nach der Trennung, hockt Brett Gurewitz wieder am Steuer der wacker klappernden BAD RELIGION-Kutsche. Das neue Album der CaliPunk-Urväter 'The Process Of Belief' erscheint Anfang Februar auf 'Epitaph' und vorab spricht Gurewitz über seine alte und neue Rolle in der Band, die Philosophie seines Labels und the shape of punk to come...
Brett, du hast für 'The New America' erstmals seit deiner Trennung von BAD RELIGION wieder einen Song zu einem Album beigesteuert. Heißt das, dass du während deiner Abwesenheit weiter an Material gearbeitet hast?
Nein. Ich hatte nur diesen einen Song. Und den hätte ich der Band sicher nicht angeboten, wenn ich nicht davon überzeugt gewesen wäre, dass er nicht wenigstens OK ist. Allerdings ist das Stück lange nicht so gut wie der Rest des Albums, und auch nicht so gut wie die Songs des neuen Albums.
Wie kam es zu deiner Entscheidung, wieder voll bei BAD RELIGION einzusteigen?
Ich fühlte mich unausgelastet, kreativ unterfordert. Ich habe zwar eine Menge Bands produziert, aber ich hatte keine Möglichkeit, selbst zu schreiben. Und als Greg auf mich zukam und sagte: 'Hey, lass uns doch gemeinsam ein Album machen', rannte er bei mir offene Türen ein.
Also war Greg die treibende Kraft hinter der Reunion?
Ja... alles seine Schuld.
Hat er die anderen Bandmitglieder in seine Entscheidung mit einbezogen?
Das weiß ich nicht, aber ich gehe davon aus.
BAD RELIGION besteht nun also aus sechs Mitgliedern. Drei davon sind Gitarristen. Hätten zwei nicht gereicht?
Sicher, aber mit drei Gitarristen ist es noch besser! Nicht so sehr in Bezug auf den Sound der Platte oder die Liveshows, aber der kreative Input aller Drei ist extrem hilfreich. Greg (Hetson), Brain (Baker, Ex-MINOR THREAT) und ich habe alle eine prägende PunkRock-Erziehung genossen und wissen sehr genau, was gut und was schlecht ist. Also können unsere Ideen und Meinungen für BAD RELIGION nur hilfreich sein und zu einer besseren Platte beitragen.
Stand jemals einer der beiden Band-Gitarristen zur Disposition? Immerhin hat Brian Baker dich einst ersetzt.
No way, man. Keiner der beiden musste auch nur eine Sekunde um seinen Job bangen. Ich möchte BAD RELIGION verstärken, nicht schwächen.
Mit 'The Process Of Belief' nimmst du neben dem Gitarristenpart auch deine anderen angestammten Positionen ein: Produzent, Songwriter, Labelboss. Bist du a) der Ansicht, dass BAD RELIGION während deiner Abwesenheit vom Weg abkamen, und b) wenn dem so sein sollte, in welche Richtung wolltest du sie lenken?
Ich glaube schon, dass die Band des öfteren meinen Rat hätte gebrauchen können, aber zwischen uns herrschte zwischenzeitlich absolute Funkstille, also konnte ich keinen Einfluss nehmen. Und für 'The Process Of Belief' gab es eigentlich nur eine Vorgabe: BAD RELIGION sollten wieder wie BAD RELIGION klingen! Nicht im Sinne von 'retro', nur um das klar zu stellen, sondern im Sinne von frisch, herausfordernd und neu.
Wie willst du den Job in der Band mit deiner Labelarbeit für 'Epitaph' in Einklang bringen?
Ich werde weder das eine noch das andere mit vollem Einsatz bewältigen können, das ist klar. Ich werde viele, aber sicher nicht alle Shows spielen, und ich werde sicher nicht jeden Tag ins Büro gehen können. Ich muss mir meine Zeit jetzt sehr genau einteilen.
Welcher Job hat denn im Zweifel Priorität?
Die Band. Ich will möglichst bald damit anfangen, Songs für das nächste Album zu schreiben.
Wie ist 'Epitaph' 'organisiert', wer kümmert sich während deiner Abwesenheit ums Geschäft, wer nimmt Bands unter Vertrag, wer entscheidet?
Niemand außer mir nimmt Bands unter Vertrag. Den 'Epitaph'-Alltag bewältigen ca. 35 Leute, zu denen ich absolutes Vertrauen habe. Es ist also nicht wie früher, als wir zu fünft auf 20 Quadratmetern hockten und man sich keinen Ausfall erlauben konnte.
Wieviele Bands signst du pro Jahr?
Weit weniger als früher. Zwei oder drei, höchstens. Ich habe festgestellt, dass es weit mehr Sinn macht sich auf großartige und wirklich gute Bands zu konzentrieren, als alles und jeden zu signen. Und in den vergangenen Jahren haben wir wirklich gute Bands entdeckt.
Welche Kriterien machen eine Band in deinen Augen exzellent, was braucht man, um bei 'Epitaph' einen Vertrag zu kriegen?
Ich versuche, Bands zu finden, die in erster Linie eines sind: Punk. Was auch immer dir oder euch das bedeutet, ich weiß, was es MIR bedeutet. Das sind keine formulierbaren Eigenschaften, das ist mehr mein persönliches Gefühl. Nur soviel: Der Sänger muss gut sein. Egal, ob er singt, schreit oder kreischt. Das, was er macht, muss er gut machen, denn die Stimme ist der Charakter der Band. Gutes Songwriting ist auch sehr wichtig. Weniger Wert lege ich auf das musikalische Können der Band, daran kann man später noch arbeiten.
Warum hast du Bands wie ZEKE, DWARVES oder die NEW BOMB TURKS wieder gedroppt?
Alle Bands hatten einen Vertrag über zwei Alben, danach wurde neu verhandelt. Die ZEKE-Geschichte war schwierig, vielleicht hätten wir sie halten sollen, aber wir können nicht mehr wie früher fünf oder sechs Alben einer Band veröffentlichen. Dann hätten wir jeden Monat 500 Releases, würden den Überblick verlieren und ich wäre wahrscheinlich zahlungsunfähig. Also muss man sich manchmal von einer Band trennen. Das sind Geschäftsentscheidungen, aber auch die müssen sein.
In wie weit ist das kommerzielle Potenzial einer Band wichtig?
Dararauf achte ich nicht. Zumindest nicht in erster Linie...
Kommen wir zu 'Epitaph Europe'. In wie weit ist dieses Label unabhängig?
Nun, ich besitze sie, also sind sie nicht unabhängig von mir. Ansonsten sind sie zu 100% independent, genau wie ich auch, denn mir gehört 'Epitaph' ganz alleine.
Also schenkst du ihnen absolutes Vertrauen in ihren Entscheidungen. Signings...
Nee, nee, nee. Ich muss ihre Vorschläge absegnen. Wenn ich 'unabhängig' sage, dann meine ich, dass sie sich nicht mit anderen Labels auseinandersetzen müssen. Aber wenn 'Epitaph Europe' Bands findet, die mir gefallen, dann nehmen sie sie auch eigenständig unter Vertrag.
Du hältst außerdem 51% am schwedischen 'Burning Heart'-Label. Wieso?
Weil es eine super Plattenfirma ist! Man muss sich doch nur mal vor Augen führen, was für großartige bands dort unter Vertrag sind: THE HIVES, THE (INTERNATIONAL) NOISE CONSPIRACY, RAISED FIST. Die Schweden haben momentan die besten Punkbands zu bieten, das steht außer Frage. Und ich quatsche 'Burning heart' nicht in ihre Signings rein, die haben uneingeschränkte Narrenfreiheit.
Was, wenn 'Epitaph Europe' und 'Burning Heart' um eine Band konkurrieren?
Das ist mir egal, solange eines der Labels den Zuschlag bekommt.
Weiter im Takt. 'Anti Records', ebenfalls ein von dir ins Leben gerufenes Label, das Künstler wie Tricky oder Tom Waits unter Vertrag hat. Warum diese klare Trennung zwischen 'Epitaph'/Punk und 'Anti'/Nicht-Punk?
Ich wollte auch Künstler mit außerhalb des Punk-Kontexts zusammenarbeiten, und da 'Epitaph' ein Punklabel ist, und es auch bleiben soll, habe ich 'Anti' gegründet.
'Epitaph' hat ein klar umrissenes Profil, früher mehr, heute etwas weniger. Die Ausrichtung von 'Anti' erscheint dagegen ziemlich willkürlich. War die Gründung von
'Anti' eine reine Business-Entscheidung?
Also, 'Anti' ist kein Mülleimer, in den ich all das schmeiße, was auf 'Epitaph' keinen Platz findet, falls du das meinst. 'Anti' ist ein interessantes, qualitativ hochwertiges Label, mit dem ich Künstler unter Vertrag nehmen kann, die Spirit haben, absolut integer sind und künstlerische Ausnahmeerscheinungen darstellen, sprich: artistic Outlaws sind. Natürlich gab es bei der Überlegung, ein neues Label zu gründen, auch eine Business-Komponente, aber die gibt es auch bei 'Epitaph'. Ich will ja kein weltweites non profit-PunkRock-Kollektiv aufbauen.
Dabei würden das ja einige Leute begrüßen...
Das stimmt, aber darauf kann ich keine Rücksicht nehmen. Außerdem ist 'Epitaph' noch immer ein Independent-Label, wenn auch ein ziemlich großes, aber noch lange kein Major, denn dazu fehlt uns das Geld. Unsere Arbeitsweise ist im Gegensatz zu den Großen noch recht natürlich. Wir kreieren keine Hypes, sondern stellen lediglich sicher, dass unsere Bands ihre Songs mit 100% künstlerischer Freiheit aufnehmen können, wir die Platte ankündigen, Toursupport geben und das Album anschließend weltweit in die Läden karren, damit es die Fans auch kriegen. Wenn ein Album wirklich gut ist, dann wird die Band ganz von alleine groß und erfolgreich. Wenn aber eine Platte nicht so toll ist, dann haben wir auch nicht den finanziellen Background, um sie künstlich auf Massenerfolg zu hypen. Laut deiner Aussage müssen die Belange des Labels vor den Belangen der Band zurückstehen. Das hört sich in der Theorie gut an und sämtliche Bands scheinen von dieser Politik auch zu profitieren.
Bleibt die Frage, ob und in wie weit du auf einige Bands mehr wert legst als auf andere?
Wir behandeln alle gleich. Wir schätzen im Vorfeld grob ab, wieviele Alben wir von einer Band womöglich verkaufen werden und versuchen, das Promobudget daran anzupassen, ohne später Geld zu verlieren. Sollte es aber eine Band geben, die ich wirklich großartig und besonders förderungswürdig finde, dann gehe ich auch das Risiko ein, mit ihnen Miese zu machen, hahaha. Im Ernst: Wir versuchen, jede Band sinnvoll und optimal zu fördern, ohne dabei bankrott zu gehen.
Was ist die Philosophie von 'Epitaph' im Jahr sieben nach dem Punk-Boom?
Früher wusste man genau, was man von 'Epitaph' erwarten konnte: PunkRock made in California. Heute betrachte ich 'Epitaph' als ein Label, das das ganze weltweite Spektrum des Punk umfasst, von RANDY über die DROPKICK MURPHYS bis zu MILLENCOLIN, F-MINUS, DEATH BY STEREO und NOFX. Die Welt des Punk ist heutzutage so breit gefächert wie nie zuvor und deshalb möchte ich 'Epitaph' als ein 'full service punkrock-label' etablieren. So schwierig man das auch definieren kann, aber die Leute, die Punk sind, wissen was ich meine. Und die Leute, die Punk hinterfragen müssen, sind mit Sicherheit nicht Punk.
Welche 'Epitaph'-Band hat das Zeug, die neuen OFFSPRING zu werden?
BAD RELIGION! Hahahaha...