Hamburg, Hochsommer, weiße St. Pauli Hitzebrühe. Wir köcheln in einem HC Mobil vor uns hin und beobachten das Leben, das an uns vorbeizieht. Alleine mit den Beobachtungen eines Tages von der Reeperbahn könntest du ein ganzes Fanzine füllen.
Aber dafür sind wir nicht da. Unser Auftrag lautet: Treffen sie BAD RELIGION pünktlich um 14 Uhr im Hotel Monopol und machen sie ein Interview.
Kurz vor 14 Uhr haben wir den Zielort erreicht und kommen schnell mit Greg Graffin, dem Großhirn, angehenden Doktor der Biologie und Sänger der Band sowie dem kleinen, drahtigen Greg Henson, Gitarrist u.a. auch bei den Iegendären CIRCLE JERKS ins Gespräch. Bevor es mit dem eigentlichen Interview losgehen kann müßen die beiden jedoch zunächst von VIVA TV über die Reeperbahn gescheucht und in irgendwelchen vergrätzten Sesseln ein paar überflüssige Fragen über sich ergehen lassen.
Einen Sender der einen Pausenclown wie Stefan Raab, ungefähr die peinlichste Figur seit Erfindung der Bildröhre, beschäftigt, kann man zwar sowieso nicht ernst nehmen, aber hier wurden mal wieder alle Vorurteile bestätigt. Schade, daß mit einem solchen Schwachsinn, soviel Geld verpulvert wird. Die Kohle könnte man wesentlich sinnvoller einsetzen... zum Beispiel zum Swimmingpoolbau in meinem Garten.
Da der Sender dank der Industrie im Rücken drei Jahre lang Minus machen kann, ohne abzukacken, wird die allgemeine Volksverblödung bis dahin wohl dazu geführt haben, daß Mutanten wie Stefan Raab und andere Vakuumträger, schon längst zur Normalität oder gar Identifikationsfiguren bundesdeutscher Vorstadtteenies geworden sind.
Womit wir eine elegante Überleitung zu den nicht mehr ganz so jungen Vorstadtteenies von BAD RELIGION geschafft hätten, denn der Wahnsinn der Isolation, Manipulation und Verdummung amerikanischer Vorsstädte der 70er Jahre, welcher mittlerweile dank einheitlicher Kultur weltweit grasiert, war die entscheidende Inspirationsquelle der californischen Punkrock Heroen.
Greg Graffin: Zweifelsohne war das triste Leben in den suburbs ein entscheidender Antriebspunkt für die Band und einige Songs sind daraus entstanden und ich denke immer noch, daß es die Hölle ist. Nicht nur im Teenageralter. Heute beziehe ich die Inspiration für Texte nicht mehr daraus. Außer Brett unserem Gitarristen wohnt keiner mehr in den suburbs. Ich wohne in einer typischen amerikanischen Universitätskleinstadt im Nordwesten der Staaten, die anderen wohnen irgendwo in den Hügeln.
ZAP: Was ist eigentlich so schlimm am FLINTSTONE Leben amerikanischer Vorstädte.
Greg Graffin: Es ist nicht wie es nach außen hin scheint. Es ist alles nur Kulisse. An der Oberfläche erscheint es sauber und adrett, aber darunter ist es charakterlos und ohne eigene Identität. In Europa ist es allerdings mittlerweile genauso. Ich habe es Gott sei Dank geschafft, aus dieser Umgebung zu fliehen und sehe keinen Grund jemals wieder, auch nicht als Erwachsener, wieder zurück zu kehren. Die Vorstädte sind überall gleich.
ZAP: Welche amerikanische Großstadt, würdet ihr bombadieren, wenn ihr die Möglichkeit dazu hättet.
Greg Graffin: Hähä. lch würde es natürlich niemandem wünschen, aber ich glaube die Stadt um die es nicht schade wäre, wenn sie niemals existiert hätte wäre Los Angeles.
Greg Hetson: Da kann ich leider nicht übereinstimmen. Ich würde San Fransisco in die Luft jagen.
Greg Graffin: Dazu kann wiederum ich nicht "Ja" sagen.
ZAP: Wieso, in San Francisco gibt es doch eindeutig zuviele Hippies.
Greg Graffin: Versteh das nicht falsch, aber wenn du durch Californien fährst wirst du sehen was für ein fazinierendes, wundervolles, großartiges Land es war, bevor die Menschen dorthin gekommen sind. So wie es besiedelt worden ist, war ein riesiger Fehler. Es herrschte eine Boomtown Mentalität. Es wurde nichts geplant, sie haben sich weder um die Versorgung mit Wasser, noch Umweltschutz noch sonst irgendetwas gekümmert, sondern sich einfach nieder gelassen. So ist es keine Wunder, daß es ein ökologisches Desaster ist. Wäre Los Angeles kontrolliert gewachsen, wäre es die beste Stadt der Staaten.
Greg Hetson: In New York leben zuviele Menschen, deswegen sollten wir N.Y. auch loswerden.
Greg Graffin: Jeder sagt, Boston wäre die schönste und beste amerikanische Stadt. Boston hätte so etwas wie Stil, aber ich wäre kein bißchen sentimental wenn Boston von der Landkarte verschwinden würde, Boston stände definitiv auch auf meiner Liste. Welche deutsche Großstadt würdest du bombadieren.
ZAP: Zunächst Rostock und danach wahrscheinlich alle anderen.
Greg Graffin: Ich glaube nicht, daß die Leute alle Nazis sind, du mußt ihr Lage blablablup....
( Greg's Versuch mich vom Bombardement Rostocks abzuhalten, sind natürlich zum Scheitern verurteilt. Es gibt keine Entschuldigung und meine Flugzeuge stehen schon längst randvolI beladen auf der Startbahn und warten nur auf den Startbefehl - der Tipper )
ZAP: Letztendlich seid ihr jezt doch bei einem Major gelandet. Was war der ausschlaggebende Punkt dafür?
Greg Graffin: In unserem Bereich haben wir wohl das Maximum an Bekanntheit und Verkaufszahlen erreicht. Seit 10 Jahren versuchen wir im Rahmen unserer Möglichkeiten auf uns aufmerksam zu machen. Da die Major Firmen schon länger hinter uns her sind, habe ich mich entschlossen zu versuchen ob wir noch mehr erreichen können. Wichtig dabei ist die Tatsache, daß die Majors hinter uns her sind und waren und wir somit den Vertrag diktieren konnten. Früher hätten sie uns nicht mit dem Arsch angeguckt, aber heute wissen sie, daß unsere Musik Potential hat, das hat sich bewiesen. Die Leute hören das und sie haben entschieden und nicht umgedreht, daß eine Firma entscheidet was die Leute hören.
Wir werden jetzt nicht wie PEARL JAM klingen. Wir machen immer noch das, was wir machen wollen. Es ist auch nicht wegen der Kohle. Auch wenn wir mehr verkaufen, werden wir genausoviel verdienen wie mit unserem eigenen Label.
Allerdings werden wesentlich mehr Leute die Chance haben uns überhaupt kennen zu lernen und natürlich werden auch die Backverkäufe unserer alten Platten ansteigen .
ZAP: Der nächste Schritt wäre also, so groß wie NIRVANA zu werden.
Greg Graffin: Was die Verkaufszahlen betrifft, könnte ich mir vorstellen, das wir soviel erreichen. Bisher hat der Vertrieb in Nord- und Südeuropa noch nicht so optimal funktioniert. Das ist jetzt gewährleistet. DIE ÄRZTE und DIE TOTEN HOSEN verkaufen momentan bestimmt mehr als 10 x soviel in Deutschland als wir, das können wir vielleicht auch erreichen, wenn wir für mehr Leute überhaupt erstmal bekannt sind.
ZAP: Dann solltet ihr allerdings deutsch singen.
Greg Graffin: Wir sollten "Schrei nach Liebe covern".
ZAP: Wenn ihr dann endlich so groß wie NIRVANA seid, wie würdet ihr Selbstmord begehen.
Greg Graffin: Ich würde definitiv keinen Abschiedsbrief schreiben, der Rocklyrics beinhaltet ( Würde von der Style Police wahrscheinlich auch beschlagnahmt werden - der Tipper ). Das hat mich echt erschüttert. Das war so arm. So ein armseliges Klischee.
Greg Hetson: Ich würde in einem SEA WORLD Vergnügungspark in ein Haiverseuchtes Becken springen, dann hätten die Besucher noch etwas davon und ich würde mich zurück in die Nahrungskette eingliedern.
Greg Graffin: Ich würde den Leuten erzählen, daß ich mit einem Ruderboot über den atlantischen Ozean fahren würde oder so etwas ähnliches, um Aufmerksamkeit zu erregen und ein Medienereigniss zu inszenieren, das vortäuscht ich wollte etwas erreichen, was ich sowieso nicht schaffen kann, weil es sich um einen simplen Selbstmord handelt.
Greg Hetson: Mit dem Boot ist allerdings glaube ich schon einer drüber gefahren.
Greg Graffin: Na gut, dann würde ich nackt zu Fuß die Antarktis durchqueren um den Menschen zu zeigen, daß Kleidungsstücke in unserer Gesellschaft völlig überflüssig sind.
ZAP: Würdet ihr heute mit einem Major im Rücken, ein Experiment wie mit "lnto The Unknown" nochmal wiederholen. ( "Into The Unknown" ist die einzige Platte von BAD RELIGION die anders ist als alle anderen und deswegen 1983 das vorläufige Ende der Gruppe bedeutete - der Tipper ).
Greg Graffin: Nein, aber das wäre eine hervorragende Art um Selbstmord zu begehen.
Greg Hetson: Ja, "Into The Unknown" ist unsere Geheimwaffe um aus dem Vertrag mit Sony zu kommen. Irgendwann werden wir sie aus Fort Knox raus holen.
ZAP: .. und dann werden die CIRCLE JERKS den Platz von BAD RELIGION einnehmen ?
Greg Hetson: Haha. Zwei so erfolgreiche Bands, wäre natürlich geil. CIRCLE JERKS gibt es mittlerweile ja wieder, wieder mit Keith am Gesang. 87 waren wir mit ihm zum letzten Mal auf Tour, als wir dieses schreckliche Konzert im Volksbidlungsheim in Frankfurt, vor all den bescheuerten G.l.'s hatten. Er war ziemlich genervt und wurde später Alkoholiker.
ZAP: Damals sah er allerdings sehr clean aus.
Greg Hetson: Ja, da trank er nichts und jetzt ist er auch wieder trocken.
ZAP: Noch irgendwelche letzten Worte?
Greg Graffin: Kauft die neue Platte. Sie ist total anderes als alle anderen ( haha, saugeiler Witz.. Greg ist nicht nur ein ausgebuffter Fuchs, sondern auch eine Scherskeks - der Tipper ). Sowas habt ihr noch nicht gehört. Wir machen das gleiche wie ACE OF BASE.
Alles in allem ein angenehmes Gespräch mit zwei abgeklärten älteren Herren der Musikbranche, die genau wissen was sie wollen, sich nicht abziehen lassen und auch andere nicht abziehen. Der eine oder andere wird sich fragen, warum wir das mittlerweile 4 Interview mit BAD RELIGION geführt haben. Zum einen wollte ich es mir nicht nehmen lassen den Kurt der Zukunft noch einmal live zu sprechen, bevor er als Nudist in der Antarktis zu Grunde geht, zum anderen kann man der Bestechungssumme von 4 veganen Leberwurstbroten und einer Rheumadecke durch die Firma Sony natürlich nicht widerstehen.
Außerdem wollte ich Greg und Greg Bescheid sagen, daß vom 4 - 7 August Chaostage in Hannover stattfinden, was sie wirklich unheimlich interessiert hat.
lnterview: Moses, Gonzo.
Photos: Vera
Holen BAD RELIGION den nächsten WORLD CUP?
Heute schon kalter Kaffee, zum Zeitpunkt des Interviews noch brandaktuell. Vaterlandsverräter Berti hatte das Köfferchen noch nicht ausgepackt, da saßen uns in Hamburg zwei Augenzeugen gegenüber.
ZAP: Habt ihr die WM live miterlebt?
Greg Hetson: Ich hab mir das Spiel Argentinien - Rumänien angesehen. Argentinien hat verloren.
ZAP: Glaubt ihr, daß die Zuschauer alle die Regeln kapiert haben.
Greg Graffin: Diejenigen, die im Stadion waren sicher. Was die meisten hier nicht wissen. Eine der größten amerikanischen Jugendorganisationen ist die Fußballjugendvereinigung. Dort sind Hunderttausende organisiert. Die meisten amerikanischen Zuschauer waren aktive junge Spieler mit ihren Eltern.
Das Fiasko ist halt, daß es sobald diese Massen von Jugendspielern aktiv werden, es keine Organisation oder einen Verband gibt der sie aufnehmen könnte.. Es fehlt der Zwischenbau zwischen Jugendarbeit und Profiliga.
ZAP: Die Profiliga ist daran auch gescheitert?
Greg Graffin: Ja, bei COSMOS NEW YORK war das Stadion zwar auch immer voll, aber als irgendwann die ausländischen Stars weg waren, ist es den Berg hinunter gegangen. Dabei ist es der ideale Sport für die Vorstädte. Dort gibt es total viele Bolzplätze und die Regeln sind einfach.
Allerdings gibt es eine zu starke Konkurrenz durch andere Sportarten. Zumindest was den Profibereich anbelangt. Da sind momentan Eishockey und Basketball auf dem Vormarsch. Außerdem gibt es ja immer noch das große American Football und Baseball. Ich denke auch, daß den Amerikanern beim Fußball einfach zu wenig Tore fallen.
ZAP: Von den Vorraussetzungen, die man benötigt um spielen zu können ist Fußball auf jeden Fall günstiger als Eishockey oder American Football. Vielleicht können wir auf dem nächsten ZAP - CUP ja tatsächlich den FC. SUBURBIA begrüßen.
Moses