Category: | Review - Newspaper | Publish date: | 1/23/2013 |
Source: | Berner Zeitung, January 23, 2013 (Switzerland) | ||
Synopsis: |
True North
Auf ihrem 16. Album holen Bad Religion zum Befreiungsschlag aus. «True North» setzt der Krise des Kapitalismus die ungestüme Kraft des Punk entgegen: oft, aber nicht immer konsequent.
«Wir alle machen harte Zeiten durch, und die besten Elemente von Punk sorgen für etwas Licht im Dunkel», sagt Greg Graffin. Für den Songwriter von Bad Religion, der Protopunk-Band aus Los Angeles, ist Punk eine Medizin gegen die kollektive Depression und die Identitätskrise, mit der nicht nur seine amerikanische Heimat, sondern der Kapitalismus generell konfrontiert ist.
Was Bad Religion ausser einer Menge gepflegten Lärms und intellektueller Analyse als Alternative zum serbelnden System bieten wollen, bleibt allerdings offen. Zum einen beschwört Greg Graffin die Power des Individualismus und den unbeugsamen Willen, sich nicht vom eigenen Lebensplan abbringen zum lassen. Zum anderen zitiert er aber die revolutionären Parolen der britischen 1977er-Punkband Sham 69, die in ihrem Song «If The Kids Are United» Solidarität einforderte. «Punkrocker aller Länder, vereinigt euch!», lautete die Botschaft – oder so ähnlich.
Befreiungsschläge
Wie auch immer: Der Befreiungsschlag, zu dem Bad Religion auf ihrem neuen Album «True North» ausholen, beeindruckt durch einen kompakten Sound und eine Spielfreude, wie sie Rockbands nur selten auf Tonträger übertragen können. «Wir besannen uns auf unser ursprüngliches Bandkonzept», sagt Gründungsmitglied Brett Gurewitz, einer der drei (!) Stromgitarristen von Bad Religion. «Und das bedeutet kurze Ausbrüche voll Musik und Gedanken.» Ganz neu ist die Linientreue zum entschlackten 2-Minuten-Brachialrock nicht. Nach einigen abrupten Stilwechseln zu Beginn ihrer Karriere, als sich Bad Religion vorübergehend an Synthesizern und Prog-Rock delektierten, segelt die Band konsequent unter der Punkrock-Flagge. Spitze Zungen sticheln gar, dass Bad Religion seit 30 Jahren immer das gleiche Lied neu singen.
Selbst wenn auch auf dieser Platte auf Nummer sicher statt auf Experimente gesetzt wird, ist «True North» keine Enttäuschung. Denn der eigenwillige Mix von sozialkritischen Texten, rasenden Rhythmen und einer Melodieseligkeit, die eher an die Beach Boys als an die Sex Pistols erinnert, funktioniert nach wie vor. Der Titelsong «True North» gibt das Programm durch: Hispeed-Marsch auf den Trommeln, sägende Gitarren, stadionkompatible Refrains und wortreiche Metaphern, welche die Säulen des kapitalistischen Systems nachhaltig erschüttern sollen, ziehen sich wie ein roter Faden durch das Album. «‹True North› ist aus der Perspektive eines Ausreissers geschrieben», sagt Greg Graffin. «Es dreht sich um die Erkenntnis, dass man nicht mehr in diese Gesellschaft passt und sich seine eigene Wahrheit sucht. Darum ist es im Punk schon immer gegangen.»
Nichts Neues im Westen
Nichts Neues an der amerikanischen Westküste also, das verraten auch Songtitel wie «Land of Endless Greed» oder «Robin Hood in Reverse.» Schade nur, hält die Band das forsche Tempo nicht über die ganze Länge des Albums durch und leistet sich einige eher fragwürdige Verschnaufpausen. Ob es gleich 16 Songs auf dem 16.Album der 1979 gegründeten Band gebraucht hätte, darf hinterfragt werden. Weniger wäre auch hier mehr gewesen. Aber das muss man einer Band wie Bad Religion nicht erzählen.
- Samuel Mumenthaler