Pioniere als Schüler
BAD RELIGION genießen Kultstatus als Vorreiter des amerikanischen Punk-Revivals, auch wenn der größere kommerzielle Erfolg derzeit Bands wie Green Day, The Offspring oder Rancid beschieden ist. Während die Newcomer ihren schnellen Aufstief genießen und die Ramones nun endgültig Servus sagen, holen Bad Religion mit ihrem neuen Album >>The Gray Race<< zur Chartsattacke aus. Dabei zählen sie auf ihre deutschen Fans, wie Stefan Woldach von Sänger Greg Graffin erfuhr...
Für »The Gray Race« hast du alle Songs im Alleingang geschrieben. Meinst du, daß du so deine Dissertation zum Doktor der Biologie irgendwann abschließen wirst?
Nun, seit anderhalb Jahren habe ich keine Vorlesungen mehr an der Uni gehalten, denn ich war einfach zu sehr mit Bad Religion beschäftigt. lch hoffe, irgendwann mit meiner Arbeit fertig zu werden. Schließlich habe ich dreiviertel aller Prüfungen hinter mir. Aber mein Doktortitel kann warten. Wenn Bad Religion irgendwann einmal am Ende sind, gehe ich zurück an die Uni. Vielleicht also nie?
Mitte der 80er Jahre habt ihr einen schweren Durchhänger gehabt. ln den letzten Jahren sah es so aus, als hättet ihr euch wieder gefestigt ...
Es tat sich damals zwar nicht besonders viel um die Band herum, aber wir haben dennoch versucht, sooft wie möglich live zu spielen. lch habe eben viel Zeit darauf verwendet, möglichst gebildet zu werden. Und Brett hat viel Zeit darauf verwendet möglichst high zu werden...
Inzwischen hat euer Mitgründer Brett Gurewitz die Band verlassen. Träumt er als Label-Chef von Epitaph mit seiner Band The Offspring jetzt vom großen Geld, das er bei Bad Religion nie verdient hat?
Kann sein. Dieses Kapitel ist jetzt endgültig abgeschlossen, und das macht mich froh! Brett hatte einfach zu viel zu tun. Die Arbeit mit Bad Religion und fur sein Label war einfach zu viel für ihn. Er mußte sich entscheiden, und das hat er getan. Er wollte Platten verkaufen, und wir wollen Platten erschaffen!
Mit The Offspring erreicht er Verkaufszahlen, von denen ihr nur träumen könnt. Nervt es dich eigentlich, von den Bands der zweiten Generation kommerziell überrundet zu werden?
Nun, wir sind nicht gerade verhungert, aber hatten leider nie den Erfolg denThe Offspring oder Green Day jezt haben. lch bin dennoch stolz auf unsere Entwicklung, darauf, daß wir jedes Jahr ein wenig zulegen konnten. Unsere Fans würdigen unser Stehvermögen und unsere Fähigkeit, nach all den Jahren immer noch frisch und spannend zu klingen.
Mit dem ehemaligen Minor-Threats-Gitarristen Brian Baker habt ihr inzwischen Ersatz für Gurewitz gefunden. Wie hat er sich in eine Band hineingefunden, die schon so lange zusammenspielt?
Nun, Brians herausragende Fähigkeit ist die, ein ausgezeichneter Gitarrist zu sein. Auf diesem Album hat er an vier Titeln mitgeschrieben! Wenn ich eine Songidee hatte, war es großartig zu hören, wie er sie umsetzt. lch bin kein besonders guter Gitarrist, und das behindert mich, wenn es darum geht, bestimmte ldeen umzusetzen. Brian ist ein exzellentes Werkzeug im kompositorischen Prozeß.
Wie siehst du im gegenwärtigen Punk-Revival eure Zukunftsperspektiven?
lch denke, wir haben das nötige Potential, um mehr Leute erreichen zu können, als wir das bislang getan haben. ln der Vergangenheit haben wir viele Leute schon allein deshalb abgeschreckt, weil wir eine Punkband sind. Doch die Zeiten haben sich geändert. Aber es ist ohnehin besse, deine Zufriedenheit nicht von deinen Verkaufserfolgen abhängig zu machen. Du machst dich doch nur verrückt, wenn du dich laufend fragst: Warum haben die anderen Bands so einen Erfolg und ich nicht? Das ist ein schneller und direkter Weg in den Wahnsinn.
Warum sollte jemand »The Gray Race« kaufen, wenn er schon ein Bad-Religion-Album hat?
Nun, weil es eigenständiger ist als alles, was wir seit langem herausgebracht haben. Wir haben da eine großartige Kontinuität von Song zu Song, was die ldeen und Sounds betrifft: Das Album ist positiv, stark und kommt auf den Punkt.
Eine Stärke des Albums liegt sicherlich in den pop-orientierten Hooklines. Hat der Ex-Cars-Bandleader Rick Occasek als Produzent euch auf Pop-Format getrimmt?
Seit den frühen Platten mochten wir den Gedanken, daß unsere Songs von ihrem Aufbau her Pop-Gesetzmäßigkeiten entsprechen. Rick hat uns in diesem Punkt sehr unterstützt. Als er zu uns ins Studio kam, meinte er: >Macht, wozu ihr Lust habt, und ich werde hundertprozentig hinter euch stehen!< Das hat uns sehr geholfen. Doch was den Pop-Aspekt betrifft: Die meisten Popsongs haben nur billige, seichte lnhalte. Unsere Songs dagegen sprechen wichtige und relevante Themen an, die uns Menschen wirklich betreffen. Zwangsläufig sind das manchmal unbequeme, negative und harte Themen.
lm Gegensatz zum vor allem am Spaß orientierten, derzeit angesagten Punk der Bands der zweiten Generation thematisiert ihr u.a, TV-Allmacht, Zensur, Korruption und Überbevölkerung. Wird Greg Graffin immer mehr zum Prediger?
Alles, was ich als Musiker und Songwriter machen kann, ist ldeen aufzuzeigen. Wir müssen über Probleme reden, und dazu brauchen wir Feedback. ln den wichtigen Fragen unserer
Existenz muß die Menschheit langsam mal einen Konsens oder wenigstens einen Kompromiß finden!
Glaubst du, daß solche lnhalte die Kids interessieren?
Die Sachen, über die wir reden, sind so generationsunabhängig, daß sie jeden eitwas angehen. Als ich Teenager war, fühlte ich im Prinzip genauso wie heute. lch konnte mich vielleicht nicht so gut ausdrücken, war vielleicht kein so guter Autor, aber meine grundsätzlichen Gefühle haben sich nicht verändert.
Weshalb habt ihr euren Titel »Punk Rock Song« als Bonus-Track auf deutsch aufgenommen?
Der Song ist geradezu geschaffen für die deutsche Sprache, obwohl die Übersetzung ein bißchen tricky war. Metaphern übersetzen sich eben nicht so gut. Bad Religion haben ein sentimentales Verhältnis zu Deutschland, denn die Fans hier haben uns auf a Ilen Touren großartig unterstützt. Wir wollten ein Dankeschön für unsere Fans auf der Platte haben. Und ich hoffe, sie verstehen, was ich singe!
Bad Religion haben einen eigenen Newsletter (»Bad Times«) und eine E-Mail-Adresse. Kommunizierst du immer noch regelmäßig mit deinen Fans?
Ja, sicher! ln zwei Wochen kommt das nächste >Bad Times< heraus. Über die E-Mail-Adresse antworte ich regelmäßig, aber es erfordert einiges an Geduld, denn ich kann nicht jeden Tag am Computer sitzen. Aber ich kommuniziere mit so ziemlich jedem und beantworte alles, was ich interessant finde. Neulich schrieb mir jemand, daß sein Freund gestorben sei und sie auf der Beerdigung einen unserer Songs gespielt hätten. Nur konnten sie dem Pfarrer natürlich nicht sagen, daß diese Band Bad Religion heißt. Sie haben »Along The Way« gespielt, und alle sollen geweint haben.
Letzte Frage: Was hältst du von der Reunion der Sex Pistols?
lch weiß ehrlich nicht, ob ich das klase oder peinlich finden soll.
BAD-RELIGION-INFO
Schon 1980 gegründet, folgten die Vorreiter des US-Punk-Revivals den damaligen Pionieren Dead Kennedys, verbanden jedoch deren Tempo und politischen Anspruch mit mehrstimmigen Melodien. Das erste Album »lnto The Unknown« klang noch sehr deutlich nach Einflüssen von Barclay James Harvest und wird deshalb von Band und Plattenfirma gerne verschwiegen. Mit »How Could Hell Be Any Worse« gelang der Band um Greg Graffin und Brett Gurewitz 1982 der Durchbruch im Underground. Nach einer durch übertriebenen Drogen- und Alkoholkonsum bedingten Pause öffneten »Suffer« (1988) und »No Control« (1989) den genesenen High-Speed-Rockern in einer veränderten Rockszene die Türen zum großen Publikum. Zwar veränderten Bad Religion ihren Sound auch auf »Against The Grain« (1990), »Generator« (1992) und »Recipe For Hate« (1993) kaurn, sechsstellige Verkaufszahlen bereiteten dennoch den Boden für die Green-Day-Generation. Brett Gurewitz, nebenberuflich Chef des bandeigenen Labels Epitaph, vertauschte nach dern großen Erfolg von The Offspring die Gitarre mit dem Bürostuhl, während Graffin den Punk-Generator mit dem neuen Gitarristen Brian Baker am Laufen hält.