Bad Religion zeigen Zähne
30 Jahre und kein bisschen leise: Mit "True North" zeigen die kalifornischen Punkrock- Urgesteine wieder Zähne!
Mit sozialkritischen Kultalben wie "Suffer", "No Control" oder "Against The Grain" haben die amerikanischen Punkrock-Pioniere von Bad Religion ab Anfang der 80er Jahre ganze Alternative-Generationen geprägt und stellen bis heute eine feste Größe dar, wenn es um unbequeme Antworten auf knallharte politische wie auch gesellschaftliche Fragen geht. Mit ihrem kürzlich erschienenen Longplayer "True North" demonstriert die Band um Frontmann, Buchautor und Evolutionsbiologe Greg Graffin einmal wieder, dass das menschliche Gehirn zu den definitiv sexiesten Körperteilen gehört.
Der Weg nach Norden
Der Albumtitel "True North" scheint eine Metapher für die Suche nach der Wahrheit zu sein.
Greg Graffin: Völlig richtig. Eine Metapher, seinen eigenen Weg in dieser Welt zu finden. Man merkt diesem Plattentitel wieder deutlich an, dass ich auch Erdkunde studiert habe: Als ich damals meinen Master in Geologie machte, wurde uns Studenten beigebracht, wie man Landkarten anfertigt. Da es noch keine Computer gab, musste man sich noch auf Werkzeuge wie Kompasse, Sextanten etc. verlassen. Die Nadel eines Kompasses zeigt bekanntlich immer zum magnetischen Norden, der sich aber vom geographischen, also dem tatsächlichen Norden, unterscheidet. Auf dem Album suchen wir nach dem "wirklichen Norden", der sich
sehr oft von dem unterscheidet, was man mit dem Auge wahrnimmt.
Ein typisches Bad Religion-Thema also: Der Blick unter die Oberfläche.
Greg Graffin: Man muss immer versuchen, sich seine eigene Meinung zu bilden. Natürlich lässt sich dies auf alle Bereiche des Lebens anwenden, obwohl der Titel und das Motiv von sehr persönlichen Erfahrungen inspiriert wurden, die ich in letzter Zeit gemacht habe: Meine Kinder erreichen so langsam ein Alter, in dem sie alle Pläne, die ich eigentlich für sie im Kopf hatte, über den Haufen werfen und eigene Wege gehen. Natürlich ist man einerseits enttäuscht, andererseits erinnert mich dies auch daran, wie stur ich selbst in diesem Alter war und genau das gleiche getan habe. Ich habe niemals auf irgendwen gehört, sondern bin auch nur meinem Bauchgefühl gefolgt. Der einzige Grund, weshalb auch Bad Religion nach mehr als 32 Jahren noch glaubhaft sind, ist die Tatsache, dass wir nie aufgehört haben, nach der Wahrheit, nach unserem eigenen Weg zu suchen. Selbst nach mehr als drei Jahrzehnten stellen wir immer noch alles in Frage und suchen uns selbst unsere Antworten, statt auf vorgegebene Lösungen zu vertrauen.
"Suffer" und seine Folgen
Was treibt euch an, heute noch Fragen zu stellen und euch nach mehr als drei Dekaden immer noch mit Gott und der Welt anzulegen?
Greg Graffin: Ich denke, ich bin einfach von Natur aus neugierig. Kritisch. Ich glaube nicht sofort alles, was man mir sagt. Vielleicht ist es auch Unzufriedenheit darüber, wie die Dinge laufen. Auf dem neuen Album gibt es einen Song namens "In Their Heart is Right" in dem es heißt: "There's something pathetic in the world today and I don't know how it all began..." Die ursprüngliche Bedeutung des Wortes Pathos ist Leiden. Je älter man wird, desto mehr Leiden sieht man auch. Beziehungsweise desto mehr ist man selbst von Leiden anderer betroffen. Vor 25 Jahren haben wir sogar ein Album mit dem Titel "Suffer" (dt: Leiden) veröffentlicht, das metaphorisch in vielerlei Hinsicht gemeint war. Heute ist uns alles viel bewusster. Ich denke, unsere Suche nach Wissen und Wahrheit wird davon angetrieben, dass wir jeden Tag aufs Neue das Leid überall auf der Welt mit ansehen müssen.
Im vergangenen US-Wahlkampf wurde Republikaner-Unsympath Mitt Romney tatkräftig von Kid Rock unterstützt – kannst du das nachvollziehen?
Greg Graffin: Nein, absolut nicht. (lacht laut) Ich denke, Romneys Wähler sind einfach verwirrt. Die Hälfte aller Amerikaner sind Republikaner. Ihre Ideologie und ihr Wahlprogramm sind so dermaßen absurd, dass sie sich mit einer unmöglichen Entscheidung konfrontiert sahen: Entweder die Linie der Partei zu folgen, also für Romney zu stimmen, oder aber einen anderen Kandidaten zu finden, den es nicht wirklich gab. Also mussten sie gezwungenermaßen Mitt Romney ihre Stimme geben. Meines Erachtens hat Kid Rock einfach zu hoch gepokert, und zwar nicht gerade auf intelligenter Basis. Er hat einfach blind auf denjenigen gesetzt, der in seinen Augen die Wahl gewinnen würde. Die andere, weniger schmeichelhafte Erklärung wäre, dass er einfach so unintelligent ist und über einen so begrenzten Horizont verfügt, dass er von amerikanischer Politik nicht das Geringste versteht.
Punk vs. Politik
Vor gut zehn Jahren hast du ebenfalls angekündigt, kandidieren zu wollen.
Greg Graffin: Das stand zu keiner Zeit wirklich zur Debatte, sondern war als Witz gemeint, den einige Leute nicht verstanden haben. Ich bin extrem damit beschäftigt, Vorlesungen zu halten, mit der Band zu touren, Bücher zu schreiben etc. Doch wenn es die Zeiten tatsächlich verlangen und man mich braucht, würde ich es aus reiner Bürgerpflicht heraus vielleicht tun.
Ist Punkrock heute noch von Bedeutung?
Greg Graffin: Klar, solange es auf diesem Globus immer noch Millionen von Kids gibt, die sich mit der Idee des Punk identifizieren, ist er natürlich noch von Bedeutung. Und eine Band, die es so lange wie Bad Religion gibt, hat immer noch einen Einfluss auf diese Kids.
Kann Punkrock die Welt verändern?
Greg Graffin: In dem Sinne, dass eine Band den jungen Leuten ein leuchtendes Vorbild und eine Art Ratgeber sein kann, der sie zum Nachdenken bringt und inspiriert – ja. Aber es gibt keinen Grund zu glauben, dass Punkrock massive politische Reformen auslösen oder beeinflussen könnte. Das ist romantischer, weltfremder Unsinn, der mit der Realität nichts zu tun hat.
- Thomas Clausen