Sie sind inzwischen alt und uncool, werden von nachgewachsenen Generationen skeptisch als Punk-Opas betrachtet und haben sich auf ihren letzten Alben nicht gerade mit Ruhm bekleckert. Doch "The Empire Strikes First" zeigt Bad Religion auf dem Weg der Besserung. Die ollen Amis sind wieder etwas dynamischer zugange, und Frontmann Greg Graffin schreibt politisch eindeutigere Texte denn je. Vielleicht gibt's vor der Punker-Rente also doch noch einen verdienten letzten Frühling für die Band.
Gregory Walter Graffin ist müde. Todmüde. Der Bad Religion-Sänger kämpft im Foyer eines noblen Berliner Hotels verzweifelt mit einem mächtigen Jetlag, den ihm ein Transatlantikflug beschert hat, und kann kaum die Augen offen halten. >>Es tut mir Leid, aber ich glaube, ich falle gleich um<<, grinst Greg und ordert bei der extrem schicken Bardame mit einem lässigen >>Kannst bringen mir ein Wasser mit Gas, bitte?<< auf Deutsch was zu trinken.
Greg, auch wenn du momentan etwas schlapp wirkst, haben Bad Religion mit "The Empire Strikes First" eine überraschend frische neue Scheibe vorgelegt. Die Platte hört sich jünger an, als ihr seid.
>>Oh, danke (lacht). Sie klingt also jünger als 39? Das ist gut. Ich glaube, das kommt daher, weil wir ein besseres Album als "The Process Of Belief" machen wollten. Das mit der Frische ist Absicht. Ich fühle mich einfach fitter, allerdings nicht gerade in diesem Moment (gähnt).<<
Dennoch klingen Bad Religion schon seit den späten Achtzigern immer etwas zehrbrechlicher und filigraner als andere Punkbands. Die klassische Punk-Aggression scheint für euch ein Fremdwort zu sein.
>>Das liegt auch an den modernen Aufnahmetechniken. Wir leben nun mal im digitalen Zeitalter. Außerdem mag ich es, wenn man jedes Instrument gut voneinander trennen kann und hört, was der einzelne Musiker spielt.<<
Auch dein Gesang ist extrem akzentuiert und sehr gut verständlich. Man könnte Bad Religion-Platten hier zu Lande schon fast im Englischunterricht verwenden.
>>Gute Idee. Und ich kann inzwischen sogar ein bisschen singen (lacht).<<
In den USA dürftet ihr allerdings in staatlichen Institutionen kaum ein Bein auf den Boden bekommen. Denn dass der Albumtitel "The Empire Strikes First" auf die amerikanische Außenpolitik bezogen ist, versteht auch der Dümmste.
>>Das hoffe ich sogar sehr. Zum Glück ist es in den USA noch nicht sooo schlimm, dass wir Angst haben müssten, zensiert zu werden. Noch nicht... (gähnt herzlich in sein Mineralwasser). Es ist ja auch nicht wirklich überraschend, auf einem Bad Religion-Album politische Statements zu finden.<<
Nun, zumindest weiß man bei euch noch, wofür ihr steht. Es gibt speziell in den USA genügend ehemals kritische Bands, die seit dem September 2001 Politik entweder gänzlich ausklammern oder sogar das Lager gewechselt haben.
>>Jemand, der plötzlich einen auf konservativ macht, war schon immer konservativ und hat nur zwischendurch den Liberalen vorgetäuscht. Jetzt können diese Leute einfach ihre wahre Gesinnung zeigen. Es ist zwar ein Paradox, aber ein Teil der Punkszene ist tatsächlich konservativ. Das ist total seltsam. Aber es gab ja sogar mal Nazi-Punks! Was zur Hölle sollte das denn sein (lacht)? Man sollte die Blödheit der Menschen nie unterschätzen.<<
Wass hältst du von der Conservative-Punk-Bewegung (www.conservativepunk.com), wo sich einige Szenehaudegen als Bewahrer nicht gerade liberaler Werte outen?
>>Das ist einer dieser Witze, die ich nicht wirklich verstehe. Dahinter stecken zum Beispiel Michale Graves (ex-Misfits-Sänger - jj), Dave Smalley (Dag Nasty, Down By Law etc. - jj) und Johnny Ramone. Diese Leute brauchen scheinbar jede Aufmerksamkeit, die sie noch bekommen können.<<
In eurem neuen Song 'Let Them Eat War' wirkst du überzeugt, dass die Mehrheit der Amerikaner die US-Politik nicht gutheißt. Wie kannst du da so sicher sein?
>>Es ist vielleicht nicht die Mehrheit, aber es sind bestimmt 49 bis 50 Prozent. Und da bin ich absolut sicher. Das werden die nächsten Wahlen zeigen. Allerdings kann es passieren, dass Bush die Wahlen wieder manipuliert. Es gibt ja den elektronischen Stimmzettel, und dieses System (übrigens von einem Bush-Freund entwickelt - jj) ist nicht fälschungssicher. Es mag für euch Europäer eh so aussehen, als sei es egal, ob bei uns ein Republikaner oder ein Demokrat am Ruder ist, aber da ist ein gewaltiger Unterschied: Der demokratische Bewerber John Kerry ist gegen Krieg. Und das ist seine ehrliche Meinung und keine Wahltaktik. Er war schließlich in Vietnam. Er hat Krieg selbst erlebt.<<
'Sinister Rouge', der Opener des neuen Albums, ist einer der Songs, die perfekt zur wortwörtlichen Bedeutung eures Bandnamens passen.
>>Richtig. Das ist eine meiner direktesten Attacken gegen die Kirche, die ich je geschrieben habe (gähnt).<<
Der Name "Sinister Rouge" klingt nach einer katholischen Geheimsekte...
>>Genau so soll er auch rüberkommen. Aber er ist eine Erfindung von mir, um die katholischen Kardinäle zu beschreiben. Einige der größten Bedrohungen für die Menschheit gingen und gehen von der katholischen Kirche aus: die Inquisition und ihre moderne Variante, die Priester, die Kinder schänden. Das ist ein grundlegendes Problem.<<
'Los Angeles Is Burning' hat einen extrem unfreundlichen Text, aber die zuckersüßeste Hookline der ganzen Platte.
>>Das stimmt (lacht). Das Stück beschreibt die Brände, die letztes Jahr um L.A. herum ausbrachen. Es waren keine klassischen Waldbrände; es gibt dort ja nur Büsche und anderes Gestrüpp. Aber das breitete sich bis in die Stadt aus. Überall war Rauch. Nur sechs Meilen von meinem Haus entfernt brannte es. Aber es steckt noch eine indirekte Bedeutung hinter dem Song. L.A. steht für die amerikanische Identität. Nimm zum Beispiel die Film- und Fernsehindustrie, also alles, was Amis brauchen, um ihrer Lieblingsbeschäftigung nachzugehen: dem Rumsitzen auf ihren fetten Ärschen. Nun sind die USA in einer Identitätskrise. Wir wissen nicht, ob wir liberal oder konservativ sind. Wir wissen nicht, was uns die Zukunft bringt. Dass L.A. brennt, ist auch eine Metapher.<<
In 'Atheist Peace' singst du "Maybe it's too late for intellectual debate". Das Klingt nach Resignation.
>>Nun, ich singe schliesslich "maybe", also gibt es noch Hoffnung. Ich habe immer noch den Glauben, dass Wissen eine Waffe ist. Wenn zum Beispiel jemand darüber nachdenken würde, was es für ein Unsinn ist, ein konservativer Punk zu sein, würde er ganz schnell seine Meinung änderen.<<
Warum soll ein 15-Jähriger ausgerechnet eine Bad Religion-Platte kaufen und nicht zu hohlphrasigen Posern wie Good Charlotte greifen?
>>Du musst ein ganz bestimmter 15-Jähriger sein, um Bad Religion zu wählen. Du musst jemand sein, der Autoritäten in Frage stellt.<<
Das tut auch jemand, der sich gegen seinen Schlips und Anzug tragenden Papa wehrt, indem er sich wie die Good-Charlotte-Kerle anzieht und ein paar Tattoos verpassen lässt.
>>Das stimmt auch wieder. Aber wer wirklich nach Antworten sucht, wird nicht glücklich, wenn er sich bloß über sein Äußeres definiert. Und es gibt noch viele Menschen da draussen, die diesem Hunger haben.<<
Und die werden sich gern von Dr. Graffin über die Schlechtigkeiten der Welt informieren lassen.
>>Seit August 2003 bin ich tatsächlich Doktor der Biologie (lacht). Du musst mich jetzt aber nicht mit Dr. Graffin ansprechen, hahaha. Das ist eh nur ein kleiner Teil meines Lebens. Die Budgets sind in der Wissenschaft recht begrentzt. Das machen konservative Regierungen gern. Sie kürzen zuerst die Sozialprogramme, dann die Wissenschaft und dann die Bildung...<<
Bislang halten dich Bad Religion wohl auch genügend auf Trab.
>>Allerdings. Ich habe nicht vor, an der Uni als Professor zu arbeiten. Ich möchte durchaus Bücher und akademische Veröffentlichungen schreiben. Aber die Band füllt mich komplett aus. Sie ist ein Vollzeitjob. Und der macht Spaß (gähnt herzhaft)!<<
- Jan Jaedike