Category: | Article - Newspaper | Publish date: | 1/24/2013 |
Source: | Tages-Anzeiger, January 24, 2013 (Switzerland) | With: | - |
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Bad Religion: Endlich wieder gut
Die US-Punkband spielte sich mit sieben belanglosen Alben aus den Herzen vieler Fans. Jetzt melden sich Bad Religion mit «True North» zurück – und klingen wie in guten alten Zeiten.
Zwei Alben prägten meine Jugend. Beide zeigen einen brennenden Menschen auf dem Cover: einen buddhistischen Mönch und einen Jungen in einer Quartierstrasse. Während Rage Against the Machines Meisterwerk aus dem Jahr 1992 für die Wut auf alles Schlechte und Falsche auf der ganzen Welt stand, symbolisierte der Junge mit den geballten Fäusten auf Bad Religions Platte «Suffer» (1988) die inneren Kämpfe und Frustrationen.
1996 war die Jugend vorbei – und beide Bands veröffentlichten passenderweise Alben, die in meinen Ohren wie schnoddrig formulierte Abschiedsbriefe klangen. Rage Against the Machine machten Schluss mit dem misslungenen Nachfolger «Evil Empire», Bad Religion mit «The Gray Race» und seiner grässlichen Hit-Single «Punk Rock Song». Das Feuer war erloschen – bis heute.
Doch zuvor eine kleine Zeitreise in den Frühling 1990. In ein kleines Dorf im Mittelland mit zwei Plattenläden. Der eine verkaufte die brandneue Doppel-CD «Auf dem Kreuzzug ins Glück» der deutschen Punkband Die Toten Hosen, der andere hatte die amerikanische Gruppe Bad Religion im Sortiment. Der andere war definitiv cooler. Mit mühsam gesparten 30 Franken im Sack und dem Skateboard unter den Füssen fuhren wir regelmässig und verbotenerweise (zu gefährlich!) zu Hullabaloo Records, stürmten zum Gestell, wo die Scheiben von Bands mit dem Anfangsbuchstaben B aufgereiht waren, und hofften auf Nachschub. «Suffer» kannten wir mittlerweile in- und auswendig. Bad Religion hatten im November zuvor «No Control» herausgebracht, doch bis die neue CD im Oberaargau erhältlich war, dauerte es ewig.
Rocker mit Doktortitel
Als sie endlich da war, klang sie wie eine Offenbarung. Keine langen Intros, kein Schnörkel. Bloss einfache und schnelle Gitarrensongs mit eingängigen Melodien. Der erste, «Change of Ideas», dauerte gerade mal 54 Sekunden. Eine knappe Minute, welche die Pubertät auf den Punkt brachte: «Wenn wir Angst haben, können wir uns in Tagträumen verstecken.» «Sanity», der längste Song, endete nach 2 Minuten 44 Sekunden. Greg Graffin sang von Zweifel und Zukunftsangst und einer Gesellschaft, die am Fortschritt zu ersticken droht. Der Autor einer Dissertation über Evolutionstheorie und Träger des «Rushdie Award for Cultural Humanism» textete stets kritisch, doch niemals ketzerisch.
Und das ist das Faszinierende. Denn was den Reiz von Bad Religion für mich in jungen Jahren ausmachte, war nicht zuletzt das Bandlogo: ein Verbotsschild mit Kruzifix – die ultimative Provokation. Wer ein T-Shirt mit diesem Motiv besass, war der Held auf dem Pausenplatz. Für mein Exemplar musste ich bis ins Tessin fahren. Meine Mutter weigerte sich lange, das Textil zu waschen, ja, es drohte gar die Absage des finanziellen Unabhängigkeitstages eines jeden Teenagers: der Konfirmation.
«Ich bin kein Satanist», sagte ich und zitierte zu meiner Verteidigung am Frühstückstisch Graffins schlaue Lyrik. Etwa aus «21st Century (Digital Boy)», einem grossen und weisen Song vom Album «Against the Grain» (1990). Der Bub konnte nicht lesen oder schreiben, hatte aber ganz viel Spielzeug. Eine beinahe visionäre Textzeile zu einer Zeit, als es weder Internet oder Handys noch iPods gab. «And I don’t want it, the things you’re offering me, symbolized bar code, quick i.d., oh yeah.»
Es half alles nichts. Eines Tages war das T-Shirt nach einem Waschgang nicht mehr aufgetaucht. Trost fand ich abermals im Hullabaloo. 1992 erschien «Generator», die düsterste Platte von Bad Religion. Den Videoclip zu «Atomic Garden», einem Antikriegssong, spielte ich im stockfinsteren Keller und freute mich diebisch an den krassen Stroboeffekten, «when bombs start flashing». Es folgten das grandiose «Recipe for Hate» (1993) und das bereits etwas enttäuschende «Stranger than Fiction» (1994).
Und dann, eben, der «Punk Rock Song» – und das Feuer war erloschen. Die Leidenszeit seit «Suffer» dauerte fast zehn Jahre. Und dann passierte, was niemand mehr für möglich hielt: Am 18. Januar erschien die Neue: «True North». Und die ist richtig gut geworden.
- Peter Aeschlimann