When you start at the top, where else can you go? Eigentlich ist die Antwort ganz einfach. Stay at the top! Keine Ahnung, wie BAD RELIGION das immer wieder hinkriegen, Fakt ist : sie schaffen es. lhr letztes Album »Recipe For Hate« läßt da gar keine Zweifel aufkommen.
Über die Jahre hinweg konnten sie ihre erfrischende Version von Punk/Hardcore konservieren, diese coole Mischung aus viel Tempo, mitreißenden Melodien und wirklich intelligenten Texten. So halten BAD RELIGION ihre Fans und können auch immer wieder neue dazugewinnen, denn bei dieser Band müssen sich Neueinsteiger nicht erst durch einen Backkatalog quälen, der Phasen einer Entwicklung darstellt, die für sie nur Geschichte sein können. Greg Hetson sieht das ähnlich: "Sure, we always do our best. We try to reach everyone. lf you're only talkin' to your 'die hard fans', it puts all the others off."
'Everybody is equal but just don't measure it...' Das Rassenproblem, Gleichberechtigung? Muß man eigentlich noch was sagen? Wohl kaum! ln zweieinhalb-Minuten-Songs muß man sich halt kurz fassen. Nur, wer außer BAD RELIGION schafft es noch, so präzis in den offenen Wunden herumzustochern. Lieber Himmel, andere machen daraus Doppelalben. Von der Musik ganz zu schweigen. »Recipe For Hate« ist voll von Killersongs, die man nicht mehr los wird.
"AIso Greg, wie macht ihr das?" Die erschöpfende Antwort Iautet: "No idea. It's just there." Nun, Songkürze und lnterviewantworten sind bei BAD RELIGION ziemIich deckungsgleich. Aber wie zur Beruhigung schiebt Greg dann noch freundlich nach: "Hey, wirklich, ich kann nicht sagen, warum es immer klappt mit den Songs. Vielleicht, weil wir uns so gut verstehen."
Nach dreizehn Jahren stimmt die Chemie in dieser Band immer noch, Verständigungsschwierigkeiten zwischen den Mitgliedern scheinen fast aufgehoben, und da hockt dann die ganze Meute in einem Hotelzimmer in Köln und gibt 22 Telefoninterviews an einem Tag und amüsiert sich prächtig; ich zeige mich schwer beeindruckt und bedaure zutiefst diesen Umstand. Genauso souverän wie sie ihre Pressearbeit erledigen, gehen sie auch auf Tour, im Gegensatz zu den meisten Ami-Bands, die permanent 'on the road' zu sein scheinen, ist die Zeit für BAD RELIGION begrenzt.
"Thank God, we don't have to tour for one and a half year to support our album. lt sells you know!" (Das ist keine Schande). Außerdem muß der Sänger der Band Greg Graffin seiner zweiten beruflichen Verpflichtung als Lehrkraft an der Universität pünktlich nachkommen. BAD RELIGION können also auch immer nur in den Semesteferien durch die Gegend ziehen. Deutschland besuchten sie im konzertarmen Juni/Juli.
Aber weder CD-Cover noch Tourplakat zeigen die Gesichter von BAD RELIGION. Auf meine Frage, warum man ihr Konterfei so selten abgedruckt sieht, kriegt Greg fast einen Lachkrampf. "Oh, nein, bloß nicht. Unsere Gesichter auf dem Cover, dann kauft keiner mehr unsere Platten, niemand kommt auf unsere Konzerte. Wir sehen aus wie ein Haufen übler Streber, aber leicht durchgeknallt." Wer das Photo im CD-Sleeve gesehen hat, stimmt Greg garantiert zu, diese dämlich grinsenden Faces hängt sich wirklich niemand übers Bett.
Trotz ihres Aussehens konnten sie Eddie Vedder (PEARL JAM) für die backing vocals in "American Jesus" und "Watch lt Die" gewinnen, und Johnette von CONCRETE BLONDE unterstützt Greg Graffin in "Struck A Nerve", dem wahrscheinlich schönsten Songs dieses Albums. Es ist ein wenig müßig über die Lyrics von BAD RELIGION zu schreiben, deren sozio-politische Korrektheit jenseits jeder Kritik liegt, die allerdings nicht vor knirschenden Passagen schützt, wie "All Good Soldiers" offenbart, aber sobald es Mr.Brett oder Greg Graffin gelingt, die betont unpersönlche Ebene zu verlassen, nähern sie sich dem Drama 'Leben' mit viel Sensibilität und entgehen so den Plattheiten, die oft nur zu nah liegen. "Struck A Nerve" ist ein schmerzlicher Song über den Verlust von Würde und die Hilflosigkeit des lndividuums gegenüber einer Gesellschaft, die alle altruistischen Werte wie Hilfsbereitschaft und Gemeinschaftssinn negiert. Das klingt altmodisch, irrelevant ist es nicht. Der Rest ist Musik.